Ich bin genug – Wege raus aus dem Perfektionismus
Perfektionismus ist heute ein so weit verbreitetes Phänomen, dass es schwerfällt, das dahinter liegende Muster einfach so abzustreifen. Wir erwarten von uns selbst nicht einfach nur gute, sondern die allerbesten Ergebnisse, damit der Chef oder die Kollegen uns anerkennen und wir mit uns selbst zufrieden sein können. Statt uns selbst und unser Aussehen zu akzeptieren, wie wir sind, quälen wir uns mit Selbstvorwürfen und Zweifeln. Die Arbeit an dem neuen Konzept oder unserer Website schieben wir immer weiter auf und fühlen uns blockiert, weil wir eine viel bessere Vision vor Augen haben, die wir erreichen könnten.
Ein gesundes Maß an Perfektionismus ist durchaus unproblematisch: Ansprüche an uns selbst können uns dazu bringen, beruflich erfolgreich zu sein, unsere persönlichen Ziele zu erreichen und uns weiterzuentwickeln. Schwierig wird es erst, wenn die Maßstäbe, die wir an uns selbst oder die Erfüllung unserer Aufgaben richten, unrealistisch werden. Wenn wir also nicht mehr nur gute oder sehr gute Ergebnisse erzielen wollen, sondern perfekte Ergebnisse abliefern wollen. Wenn wir selbst (unser Aussehen, unsere Familie, die Ordnung in unserer Wohnung etc.) vollkommen sein müssen, bevor wir mit uns zufrieden sein können.
In diesem Fall verursacht das Streben nach Perfektionismus viel inneren Druck, der dazu führen kann, dass wir uns gestresst oder deprimiert fühlen, dass sich unsere Angst verstärkt, Fehler zu machen, und wir meinen, immer mehr leisten zu müssen – so dass wir uns wie in einem Hamsterrad gefangen fühlen, zwischen dem Anspruch, mehr zu erreichen, und dabei aber nie anzukommen bzw. vor uns selbst zu genügen. Auf Dauer können solche extremen Ansprüche gesundheitsschädigend wirken und Ursache für Depressionen, Burn-out u.a. sein. Das hohe gesellschaftliche Leistungsideal trägt einen Teil dazu bei, solche überhöhten Maßstäbe aufrechtzuerhalten.
Im Kern steckt in den perfektionistischen Ansprüchen häufig eine Versagensangst, die jedoch leider immer größer wird, je mehr wir versuchen, uns vor Fehlern zu schützen und sie zu vermeiden. In manchen Fällen führt die Angst zu versagen sogar so weit, dass wir warten, bis die perfekten Voraussetzungen für perfekte Handlungen gegeben zu sein scheinen: Wir geben den Artikel erst ab, wenn der Text perfekt formuliert ist, bewerben uns erst für die spannende neue Stelle, wenn wir sicher sind, alle Anforderungen zu erfüllen – und warten damit unter Umständen so lange, bis uns ein grauer Bart gewachsen ist, oder beenden die Aufgabe vielleicht sogar nie.
Wege aus dem Perfektionismus
Was also hilft uns, die Blockade zu überwinden und einen unförderlichen Perfektionismus abzulegen? Einsicht ist der erste Schritt zur Veränderung und wenn wir also erkennen, dass wir bereits in der Perfektionismus-Falle stecken, gibt es kreative Möglichkeiten, um dem zu entgehen und uns den Perfektionismus abzugewöhnen.
1. Eine förderliche Haltung entwickeln: Oft erzählen wir uns unbewusst selbst, dass wir nicht genügen, perfekt sein müssen, oder vergleichen uns selbst mit anderen. Manchmal wiederholen wir damit die Meinung oder Ansprüche unserer Eltern oder etwas, das wir meinen, das andere über uns denken. Welche innere Haltung oder Einstellung würde Sie stattdessen mehr unterstützen? Vielleicht: „So wie ich bin, genüge ich.“ oder „Ich bin auch liebenswert, wenn ich nicht perfekt bin.“ Finden Sie einen Satz, der Ihnen am meisten gefällt, und machen Sie ihn zu Ihrem neuen Mantra.
2. Selbstakzeptanz: Wahrscheinlich das stärkste Mittel gegen den Druck, perfekt sein zu wollen, ist, sich selbst so zu akzeptieren, wie man ist. Wie würden Sie einen guten Freund oder eine gute Freundin behandeln, wenn Sie Ihnen von ähnlichen Schwierigkeiten erzählen würde? Können Sie eine mitfühlende, akzeptierende Haltung sich selbst gegenüber entwickeln? Hilfreich ist die innere Einstellung: „Ich bin okay, so wie ich bin.“ oder auch „Ich bin okay, auch der Text noch Fehler hat, die Wohnung unaufgeräumt ist, ich noch nicht alle Emails beantwortet habe o.ä.“
3. Die eigenen Ansprüche senken (und Ideale entlarven): Am meisten blockieren uns unsere eigenen bewussten oder unbewussten Ansprüche. Meist fordern wir dabei 100 oder sogar 120 Prozent von uns. Dagegen können wir uns selbst fragen: „Wer erwartet das eigentlich von uns?“, und unsere Idealvorstellung mit realistischen Maßstäben überprüfen. Sehr wirkungsvoll ist, statt immer nur das Ziel oder Ergebnis im Blick zu haben, uns nur auf den nächsten kleinen Schritt zu konzentrieren. Dadurch senken wir unsere Ansprüche an uns selbst und ein großer Teil des Drucks fällt von uns ab.
4. Sich Fehler erlauben: Üben Sie sich darin, einen gelasseneren Umgang mit Ihren Fehlern zu finden. Wichtig ist nicht, sich keine Fehler zu erlauben, sondern häufig lernt man gerade am meisten aus Fehlern und hat später immer noch die Möglichkeit, sie zu korrigieren, sich zu entschuldigen oder sie einfach als „Erfahrung“ zu verbuchen. Oft ist passiert viel weniger, wenn wir einen Fehler gemacht haben, als wir befürchten. Probieren Sie es aus: Machen Sie absichtlich Fehler. Wahrscheinlich machen Sie die Erfahrung, dass die Welt davon nicht untergeht – und entdecken vielleicht Überraschendes.
5. Vom „müssen“ zum „wollen“: Unser innerer Kritiker flüstert uns gerne ein, was wir „sollten“ und „müssen“. Manchmal genügt es schon, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, diese Worte aus dem eigenen Wortschatz zu streichen. Statt „Ich muss dies oder das heute noch fertig bekommen.“ oder „Ich sollte eine höhere Leistung erzielen.“ können Sie den Gedanken umformulieren zu: „Ich will/möchte gern dieses oder jenes erreichen.“ Gerne auch mit dem Zusatz: „Und wenn es nicht klappt, ist es auch in Ordnung. Morgen ist ein neuer Tag.“
6. Für Abenteuerlustige: Einen Tag lang unvollkommen sein. Wenn Sie Ihren Perfektionismus durchbrechen möchten, kann es auch hilfreich sein, sich mal einen Tag lang zu erlauben, möglichst unperfekt zu sein. Schlafen Sie zu lang, kleiden Sie sich ungewohnt nachlässig, lassen Sie die Wohnung unaufgeräumt und kommen Sie zu spät zu einer Verabredung, wenn Sie sonst die Tendenz haben, überpünktlich zu sein. Genießen Sie die neuen Handlungsmöglichkeiten und -räume, die sich damit auftun. Am nächsten Tag können Sie wieder gewohnt ordentlich und zuverlässig sein. Aber vielleicht haben Sie ein bisschen mehr Gelassenheit darin gewonnen, unvollkommen zu sein.
Um den Perfektionismus abzulegen braucht es vor allem das: Gelassenheit und den Mut zur Unvollkommenheit. Seien Sie nicht allzu streng mit sich. Vielleicht ist es am Anfang ungewohnt, weniger perfektionistisch und vielmehr großzügiger mit sich selbst zu sein. Gestehen Sie sich selbst zu, dass Wachstum und Veränderung etwas Zeit brauchen. Ich wünsche Ihnen dabei viel Freude, Mut und Lebendigkeit.
Authentisch leben
Wer sehnt sich nicht danach, authentisch zu sein und so zu leben, wie es einem selbst entspricht? Sich nicht zu verbiegen, gerade seine Meinung auszudrücken und den eigenen Impulsen zu folgen. Die meisten Menschen haben das Bedürfnis, echt und im Einklang mit sich selbst zu sein – und trotzdem kennen wir auch alle das Gefühl, mit unserer Meinung hinter dem Berg zu halten, die (gedachten) Erwartungen von anderen über uns zu stellen und uns zu verstellen.
In manchen Momenten fällt es uns wahrscheinlich eher auf: wenn wir über unsere Grenzen hinweg gegangen sind oder wenn wir innehalten und zur Ruhe kommen. Es kann eine schwierige Selbsterkenntnis sein, wenn wir merken, dass wir lange Zeit gegen unsere wirklichen Impulse gehandelt haben. Gleichzeitig raubt es eine Menge Energie, wenn wir uns selbst verstecken und vor anderen so tun, als seien wir jemand anderes.
Im besten Fall ignorieren wir diese Momente nicht, sondern nutzen sogar den damit verbundenen Ärger auf uns selbst oder unsere Unsicherheit, um uns selbst zu erforschen und mehr so zu handeln, wie es uns entspricht. Die Entscheidung authentisch zu leben ist deshalb nicht immer die einfachere Wahl; die eigenen Impulse zu erkennen und sich von ihnen leiten zu lassen, ist eine Herausforderung – immer wieder neu. Gleichzeitig wird auf diesem Weg sehr viel unserer Kraft freigesetzt und oft eröffnen sich dadurch erst neue, vorher ungeahnte Möglichkeiten.
Was hindert uns daran, einfach loszulegen?
Das klingt prima, wieso legen wir dann nicht einfach gleich los? Authentisch zu leben erfordert Mut von uns, denn allzu oft hängen wir in alten Gewohnheiten fest und haben eine ganze Reihe (unbewusster) Befürchtungen, die uns davon abhalten, so zu handeln, wie es sich für uns gut anfühlt:
– Was passiert, wenn ich mehr meiner eigenen Nase folge und meine Bedürfnisse an die erste Stelle setze?
– Die anderen könnten mich für egoistisch halten, schlecht von mir denken oder sich von mir abwenden…
– Ich fürchte mich davor, dass die anderen – vor allem Personen, die mir wichtig sind – mich nicht mehr mögen, wenn ich meine Meinung sage.
– Welche realen Konsequenzen hat es, wenn ich „nein“ sage, mich anders verhalte als bisher etc.? Könnte ich meine Stelle verlieren, mich häufiger mit meinem Partner streiten, gute Freunde verlieren?
So oder so ähnlich kann die Angst vor Konsequenzen aussehen, die uns bisher von einem authentischen Leben abgehalten hat. Der authentische Weg ist unsicherer, weil er für uns auch Unwägbares bereithält.
Herausfinden, wer ich bin
Damit wir unseren eigenen Weg gehen können, brauchen wir verschiedene Kenntnisse und Fähigkeiten – und unter anderem erfordert es, dass wir uns selbst gut kennen bzw. herausfinden und erforschen, wer wir sind. Dazu gehört es, dass wir uns ehrlich befragen, was uns selbst wichtig ist und uns gut tut – und was nicht. Möglicherweise sind es ganz andere Dinge, als wir bisher dachten, oder es unterscheidet sich grundlegend von den Anforderungen, die wir bisher an uns gestellt haben…
Es braucht Zeit, sich selbst besser kennenzulernen, und es bleibt ein fortwährender Prozess, unserer inneren Stimme zuzuhören. Ein Notizbuch, in das wir wiederholt unsere Gedanken, Gefühle und unsere Erkenntnisse eintragen, kann dabei hilfreich sein…
Dazu gehört auch, dass wir unser Verhalten immer mehr unabhängig von anderen selbst bestimmen; uns also nicht von den Erwartungen anderer Menschen leiten lassen. Wir können lernen, unsere Gefühle und Bedürfnisse anderen besser mitzuteilen und uns zu zeigen – und dabei für uns selbst einzustehen – und neue Grenzen vorsichtig, in kleinen Schritten gegenüber anderen auszuloten.
Wie gelingt Authentizität?
Was hilft dabei, sich von äußeren Erwartungen zu befreien und mutig den eigenen Weg zu gehen? Ein Schritt dabei kann sein, die eigene Einstellung zu überprüfen und eine Haltung zu wählen, die den authentischen Lebensstil unterstützt. Jeder kann für sich herausfinden, welche Haltung das ist; einige Beispiele für hilfreiche Einstellungen sind:
– „Ich bin okay, so wie ich bin. Auch mit kleinen Fehlern und Schwächen.“
– „Ich bin nicht auf der Welt, um so zu sein, wie andere mich haben wollen.“
– „Authentisch zu sein, macht mich sympathisch.“
– „Ich darf Fehler machen. Niemand ist perfekt.“
…
Weiterhin gehört dazu, sich selbst aufmerksam wahrzunehmen und zuzuhören. Wie reagieren wir innerlich in bestimmten Situationen? Bei allen Anforderungen von außen – hören Sie auf Ihren Körper! Zieht sich Ihr Magen zusammen, wenn Sie bei der Arbeit gebeten werden, neue Aufgaben zu erledigen? Wie geht es Ihnen damit, wenn Ihr Partner, ein Freund oder eine Freundin Sie um etwas bitten? Beobachten Sie auch die kleinen und feinen Reaktionen Ihres Körpers… Signalisiert er Ihnen, dass Sie eigentlich mehr Ruhe oder mehr Freiraum brauchen?
Andersherum: Wo oder mit wem fühlen Sie sich rundherum wohl? Auch dadurch lernen Sie sich selbst besser kennen und können besser entscheiden, was Sie wollen und was nicht. Machen Sie es sich zur Gewohnheit, von Zeit zu Zeit innezuhalten und sich selbst wahrzunehmen. Achtsamkeitsmethoden und Focusing helfen dabei ebenso. Dadurch lösen Sie sich auch leichter von den Erwartungen, die andere an Sie richten.
Last but not least: Experimentieren Sie! Probieren Sie aus, welche (neue) Verhaltensweise Ihnen guttut und sich authentisch anfühlt. Statt zu lange darüber nachzudenken, können Sie auch in kleinen Schritten Neues ausprobieren. Auf welchem Feld möchten Sie beginnen? Vielleicht probieren Sie es zuerst in einer leichten bis mittelschwierigen Situation und sagen während einer Diskussion laut Ihre Meinung, probieren einen neuen Kleidungsstil aus oder tun sich selbst etwas Gutes, indem Sie sich freinehmen und die Zeit nur mit sich verbringen.
Besonders spannend wird es dann, wenn Sie sich trauen, Ihre soziale Rolle abzulegen und frei für sich zu entscheiden, was zu Ihnen passt. Daraus können neue Lebendigkeit und Wachstum entstehen. Dennoch: Bevor Sie gleich alles absagen – lassen Sie sich etwas Zeit mit den großen Entscheidungen. Sie können sich auch allmählich selbst immer besser wahrnehmen und kennenlernen – und dann bewusst entscheiden, welche Erwartungen Sie vielleicht sogar erfüllen wollen – und welche nicht.
Ich wünsche Ihnen viel Freude und Erfolg damit, Ihren authentischen Lebensstil zu entwickeln!
Was bedeutet Selbstfürsorge? 10 Impulse
Momentan ist für uns alle eine besondere Zeit, die uns vor neue Herausforderungen stellt, in der wir neue Handlungsmöglichkeiten entwickeln und in der wir auch vielfach auf uns selbst zurückgeworfen sind – einfach, weil wir mehr Zeit zuhause, mit uns selbst verbringen (im Homeoffice, bei der Kinderbetreuung oder als Alleinstehende). Bei mir selbst und bei meinen Klienten erlebe ich es momentan als besonders wichtig, dass wir uns gute Strukturen schaffen, wie wir unser Leben gestalten möchten, und dass wir eine gute Selbstfürsorge entwickeln.
Bei der Selbstfürsorge – oder auch dem Begriff Selbstsorge – geht es übrigens nicht allein darum, wie man für sich selbst am besten sorgt. Vielmehr schwingt darin die Fähigkeit mit, sich auf veränderte Bedingungen einzustellen, aus Herausforderungen zu lernen – und sein Ich bestmöglich zu entfalten, so dass es einem selbst und der Gemeinschaft mit anderen Menschen bestmöglich dient. Selbstfürsorge kann also als eine Verpflichtung mir selbst und anderen gegenüber verstanden werden – und ist keineswegs egoistisch.
Wie aber sieht gute Selbstfürsorge nun aus? Als ich begonnen habe, mich mit dem Thema Selbstfürsorge zu beschäftigen, hat mir ein Abschnitt aus dem Buch „Spirituell arbeiten“ von Friedrich Assländer und Anselm Grün (Münsterschwarzach 2010) weitergeholfen. Einige Aspekte daraus – und eigene Gedanken – möchte ich in diesem Blogartikel gern vorstellen:
1. Lernen, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Momentan verschieben sich gerade Prioritäten; was gestern noch wichtig war, ist heute weniger aktuell, dafür rücken andere Dinge in den Fokus. Bei allem was geschieht, nehmen Sie sich Zeit, um innezuhalten und sich zu fragen, was Sie jetzt gerade brauchen. Lernen Sie, Ihre innere Stimme zu hören und ihr zu folgen.
2. Was nährt mich wirklich? Momentan ist auch wichtig, auf gute Ernährung zu achten. Regelmäßiges Essen, das mir Kraft gibt und mich stärkt, tut gut und gibt eine gute Basis. Das kann ein Lieblingsessen sein, ein neues Rezept mit viel buntem Gemüse oder das alte Rezept von der Oma. Fragen Sie sich auch mal, was Sie in Ihrem Leben darüber hinaus besonders nährt.
3. In Bewegung sein. Für mich ist Bewegung eine meiner wichtigsten Lebenszutaten für Zufriedenheit und Wohlbefinden. Jede Bewegung ist erlaubt; bei mir sind es momentan vor allem Spazierengehen, Yoga, Qi Gong, moderates Joggen. Auch Bewegung im Alltag ist damit gemeint, wie Treppensteigen oder zu Fuß nach Hause laufen. Es ist weniger wichtig, welche Art der Bewegung Sie wählen, als dass es Ihnen Freude macht.
4. Für Ruhepausen, Erholungsphasen und Schlaf sorgen. Dieser Punkt braucht wenig Erklärung… Genauso wie regelmäßige Bewegung brauchen wir regelmäßige Pausen und Regenerationsphasen. Statt bei Herausforderungen und Stresssituationen mit Hyperaktivität zu reagieren, fragen Sie sich, wie viele Ruhephasen Sie sich momentan erlauben und nehmen Sie sich Zeit, um zwischendurch einfach mal nichts zu tun.
5. Für Entspannung sorgen. Man könnte meinen, dass dieser Impuls schon mit dem vorherigen Punkt abgedeckt ist – stimmt nicht! Entspannung meint hier, dass Sie für einen regelmäßigen aktiven Ausgleich sorgen. Das kann eine Entspannungstechnik sein, die Sie regelmäßig anwenden, tägliches Yoga, Tai Chi, Qi Gong oder eine andere Übung, die Ihnen hilft, Körper und Seele zu entspannen.
6. Humor/Lachen! Für die persönliche Psychohygiene (hier gemeint als Erhaltung des psychischen und geistigen Wohlbefindens) ist Humor eine unabdingbare Eigenschaft. Lassen Sie sich das Lachen und den Humor nicht verbieten, auch wenn die äußeren Umstände gerade eher stressvoll und belastend sind. Humor befreit, entspannt und wirkt angstreduzierend – braucht es noch mehr Gründe, um sich seinen Humor zu bewahren? Wäre doch gelacht!
7. Was waren meine Highlights heute? Eine gute Methode, um besonders in schwierigen Zeiten wahrzunehmen, was auch an Gutem/Ressourcen vorhanden ist – und um die eigene Resilienz zu stärken – ist das Anerkennungs-Tagebuch. Notieren Sie täglich (abends) drei Dinge, die heute gut waren, mit denen Sie zufrieden sind. Auch an den schwärzesten Tagen finden sich noch drei kleine oder große Dinge, die in Ordnung oder sogar schön waren. Sammeln Sie sie.
8. Außen wie innen. Manchmal tut es gut, wenn wir die Dinge im äußeren ordnen oder angenehmer gestalten – das wirkt auch nach innen. Sorgen Sie für eine wohltuende Umgebung, beginnend bei einer Kleidung, in der Sie sich wohlfühlen, der Gestaltung Ihrer Wohnung oder Ihres Arbeitsplatzes. Pflanzen und gutes Licht sorgen für eine wohltuende und gesunde Atmosphäre. Gemeint sind darüber hinaus auch gute Beziehungen, die Sie stärken und erfüllen…
9. Was denke ich über mich/wie bewerte ich die Situation? Einen Teil der äußeren Umstände können wir nicht verändern, aber wir können jederzeit unsere Gedanken und unsere Bewertungen ändern. Beobachten Sie sich selbst, was Sie im Moment über sich selbst und äußere Umstände denken. Lernen Sie, unterstützende und heilsame Gedanken aufkommen zu lassen. Entwickeln Sie eine wertschätzende Haltung zu sich selbst. Es gibt Techniken (z.B. Focusing, Achtsamkeitsmeditation), die dabei helfen, oder Sie lassen sich von einem Coach oder Therapeuten darin begleiten.
10. Selbstannahme – Nehmen Sie sich selbst so an, wie Sie sind. Auch wenn nicht alles so läuft, wie geplant, oder wenn Sie nicht alle Impulse der Selbstfürsorge erfüllen – seien Sie milde und nachsichtig mit sich selbst. Sie sind okay! Sich selbst freundlich zu betrachten und es annehmen zu können, wenn Dinge anders laufen als erwartet, ist das stärkste Mittel, um eine gute Beziehung zu sich selbst zu entwickeln und auch für andere Menschen ein gutes Gegenüber, ein Mitmensch zu sein.
Nehmen Sie sich nicht alle Punkte auf einmal vor, wenn Sie Ihre Selbstfürsorge ausbauen wollen! Besser ist, mit einem oder zwei Punkten zu starten, die Ihnen besonders auffallen und mit denen Sie gern beginnen möchten. Genügt! Vielleicht gibt es ja auch etwas, das in der Liste fehlt, und das Ihnen momentan besonders wichtig ist…
Ich wünsche Ihnen Kraft und gute Energie bei der Entwicklung Ihrer Selbstfürsorge!
Emotionale Kompetenzen IV: Freude als Weg
Freude ist eins der positivsten Gefühle, die wir kennen, und trotzdem gehört sie zu den am wenigsten beachteten bzw. erforschten Basis-Emotionen. Einerseits wünschen wir uns häufig mehr davon: mehr Freude und Glücksmomente in unserem Leben; andererseits sind wir scheinbar ständig in einem Mangel – oder sind es einfach nicht gewohnt, unsere Aufmerksamkeit auf die flüchtigen Momente von Glück, Zufriedenheit und Freude zu richten. Unbewusst konzentrieren wir uns oft mehr auf das, was uns daran hindert, Freude zu empfinden und glücklich zu sein.
Dieser Blog-Artikel möchte Sie inspirieren, Ihren Fokus wieder mehr auf die Freude zu richten. Das bedeutet gleichzeitig nicht, Gefühle von Traurigkeit oder Leid zu überdecken; sie sind genauso wichtig. In unserer Freude steckt jedoch eine starke Ressource, die uns hilft, leidvolle Momente besser durchzustehen und uns ein gutes Leben aufzubauen. Die Möglichkeit, Freude zu empfinden, ist immer gleichzeitig mit allem anderen da; sie ist genauso in uns angelegt, wie die Möglichkeit Angst, Trauer oder Wut zu empfinden. Vielleicht kennen Sie solche Momente, in denen die Freude völlig unvermittelt auftaucht, nachdem Sie gerade noch eher wütend oder traurig waren…
Was ist Freude und welche Funktion hat sie?
Freude ist eine Reaktion darauf, dass wir ein für uns wünschenswertes Ziel erreicht haben, dass wir uns in einer vertrauten und sicheren Umgebung befinden, und sie zeigt sich in einem körperlich entspannten – oder freudig angeregten – Zustand. Sie lässt sich (zeitlich) einteilen in:
– kürzere Freuden- und Glücksmomente
– länger anhaltende Freude und Stolz über Lebensereignisse und persönliche Erfolge
– Lebensfreude als innere Einstellung
Evolutionär betrachtet war die Freude in früheren Zeiten nicht nur dazu da, um uns angenehme Gefühle zu verschaffen, sondern sie war ebenso wie die „negativen“ Gefühle, Angst, Wut und Trauer, auf unser Überleben ausgerichtet; beispielsweise erfahrbar anhand der Freude über die Geburt eines Kindes oder den Sieg über einen Gegner. Darüber hinaus förderte sie die sozialen Bindungen, die Bildung von Gemeinschaft und die allmähliche Entwicklung einer Kultur. Positive Gefühle wie Freude, Lachen, Lieben, Lust und Zufriedenheit erwiesen sich als evolutionär von Vorteil und waren äußerst attraktiv, wenn es darum ging, einen Partner zu wählen, auf die Zukunft gerichtet zu planen und etwas aufzubauen.
Diesen Effekt hat die Freude bis heute: Sie stärkt unsere Bindungen und erweitert zugleich unsere Denk- und Handlungsmöglichkeiten. Optimismus und Freude wirken anziehend auf uns und tragen dazu bei, dass bestehende Beziehungen gefestigt werden und neue entstehen. Gleichzeitig sind wir offener, weltzugewandter und lernen leichter, wenn wir Freude empfinden. Sie bewirkt eine Aktivierung unserer Geistesaktivitäten: Wir sind kreativer und gehen spielerischer an Aufgaben und Herausforderungen heran; wir finden eher zu neuen Lösungen, wenn wir in einem entspannt-freudigen Zustand sind.
Freude als Weg
Wenn wir davon ausgehen, dass alle Emotionen, positive wie negative, eine Signalwirkung auf uns haben, dann zeigt unsere Freude uns am ehesten an, wo wir gerade richtig sind, wonach unser Innerstes sich sehnt und in welche Richtung es für uns geht. Statt sich daran zu orientieren, was von außen gesehen sinnvoll erscheint und was wir selbst und andere von uns erwarten, können wir uns für die Freude als Weg entscheiden. Es ist gleichbedeutend damit, unserer inneren Stimme zu vertrauen und ihr zu folgen. Unsere Freude gibt uns einen möglichen Zugang dazu und zeigt uns, welche Ressourcen wir bereits besitzen und in unserem Leben ausbauen sollten.
Am besten finden wir selbst heraus, was uns freut und glücklich macht: ob wir uns beruflich eher Beständigkeit und Routine wünschen oder ob wir uns lieber mit einer verrückten Idee selbständig machen, ob wir einen Partner wählen, der die gleichen Vorstellungen hat und gut in unsere Familie passt, oder ob wir uns für einen Partner entscheiden, der uns mit seinem besonderen Humor zum Lachen bringt; ob wir am liebsten Kleider tragen, die aktuell modern sind oder solche, die uns einfach selbst viel Spaß machen… Es gibt viele Möglichkeiten und wir können unserem eigenen, individuellen Weg folgen.
– von der Angst, Freude zu empfinden
Trotzdem kann es passieren, dass wir uns selbst die Freude nicht erlauben. Manchmal erscheint es leichter, an negativen Vorstellungen festzuhalten und damit das Schlimmste schon vorwegzunehmen. Wir feiern beispielsweise unsere Erfolge nicht oder erlauben uns selbst nicht, optimistisch zu sein und auszuhalten, was uns Freude macht. Damit kann die Angst verbunden sein, dass das was uns freut nicht von Dauer sein wird oder wir das Unglück selbst einladen, wenn wir uns erlauben, uns zu freuen. Freude kann eine sehr intensive Erfahrung sein, die uns verletzbar macht. Wenn wir das tun, was uns Freude macht, steckt darin oft auch ein großes Potential von uns – und es kann schwer sein, diese Größe auszuhalten.
Wie wir mehr Freude in unser Leben bringen können
Wenn wir es dabei nicht belassen wollen, haben wir die Möglichkeit, unsere Ängste wahrzunehmen und anzuerkennen – uns aber bewusst für unsere Freude zu entscheiden. Meistens hilft es, wenn wir kurz innehalten und uns fragen, welches Gefühl gerade überwiegt – Angst oder Freude – und uns fragen, welche Richtung wir wirklich einschlagen wollen. Es hilft uns dabei, wieder frei zu werden.
Darüber hinaus sind Möglichkeiten, mehr Freude in unser Leben zu bringen:
– Dankbarkeit und Optimismus: Dankbarkeit und Freude gehören eng zusammen, beispielsweise, wenn wir anerkennen, was bereits alles in unserem Leben ist, für das wir dankbar sein können (eine Möglichkeit: ein Dankbarkeits-Tagebuch!).
– soziale Beziehungen pflegen: Freude ist ein Gefühl, das sich vermehrt, wenn wir es teilen… Unsere Beziehungen (Freunde, Familie, Partnerschaften, Kollegen etc.) sind eine unserer größten Quellen für Glück und Freude. Geben Sie Ihrer Freude Ausdruck und sagen Sie es Menschen in Ihrer Umgebung, wenn Sie sie mögen, oder investieren Sie in neue Beziehungen.
– Stress, Schwierigkeiten und Traumata bewältigen: Manchmal geht es auch darum, uns unseren Problemen zu stellen und neue Bewältigungsstrategien zu erlernen, um Freude wieder möglich zu machen. Dabei ist besonders wichtig, Mitgefühl für sich selbst zu entwickeln. Vielleicht entdecken wir in den schwierigen Situationen sogar positive Aspekte und Entwicklungsschritte für unser Leben.
– Achtsamkeit: Bewusst zu entschleunigen und wieder auf die kleinen Freudenmomente zu achten, ist eine sehr gute Möglichkeit, die Freude in Ihrem Leben zu vertiefen. Bei welchen Tätigkeiten und mit welchen Menschen fühlen Sie sich besonders wohl? Wann erleben Sie ein Gefühl des Flow?
– Ziele setzen: Wenn Sie momentan das Gefühl haben, zu wenig Freude in Ihrem Leben zu haben, können Sie sich auch bewusst überlegen, welche Lebensträume Sie haben und wie Sie diese gezielt verwirklichen können. Kleine Schritte sind dabei oft ein wesentliches Mittel auf dem Weg.
– sich um Körper und Seele kümmern: Freude und Wohlbefinden hängen eng mit einem guten und entspannten Körpergefühl zusammen. Nicht umsonst spricht man von Glückshormonen, die bei Bewegung freigesetzt werden. Genauso kann es für Sie wichtig sein, sich mit Sinn und Spiritualität zu beschäftigen, um Ihre Lebensfreude zu stärken.
Welche dieser Möglichkeiten spricht Sie am meisten an und würden Sie gerne vertiefen? Ich wünsche Ihnen viele bewusst erlebte Momente von Freude in Ihrem Leben!
Literatur:
Sonja Lyubomirsky, Glücklich sein. Warum Sie es in der Hand haben, zufrieden zu leben, Frankfurt am Main 2018.
Emotionale Kompetenzen III: Die Traurigkeit wertschätzen
Nach meiner Wahrnehmung ist jeder Trauerprozess individuell und der Verlauf kann nicht vorhergesagt werden. Jeder Mensch trauert auf seine Weise: Der eine weint viel und sucht den Trost von Freunden und Familienmitgliedern, ein anderer zieht sich zurück und braucht Zeit, um seine Erfahrungen zu verarbeiten, wieder ein anderer sucht Unterstützung bei nur einer Person, der er oder sie vertraut… Das Trauern kann laut oder eher leise passieren; es ist immer ein inwendiger Prozess, kann aber auch im Außen sichtbar sein und viele Ausdrucksformen annehmen. Keine Art zu trauern ist verkehrt, wichtig ist jedoch aufmerksam zu bleiben und zu bemerken, welche Form die Trauer annimmt.
Welche Funktion hat Trauer?
Sicher gibt es auch unterschiedliche Grade von Traurigkeit und Trauer. Ein Kind kann intensiv traurig darüber sein, sein Spielzeug verloren zu haben, eine erwachsene Person ist vielleicht traurig, weil sie gerade eine kritische Bemerkung über sich gehört hat, oder jemand trauert über den Verlust eines geliebten Menschen oder des Arbeitsplatzes. Die ursprüngliche Funktion der Traurigkeit/Trauer ist, einen Verlust bzw. eine Verletzung anzuzeigen. Ebenso steckt darin eine grundlegende Möglichkeit, wie wir diese Erfahrung verarbeiten können, wenn das Trauern (auf unsere eigene Weise) sein darf. Statt Angst davor zu haben und die Traurigkeit zu unterdrücken, kann die Trauer als eine gesunde und sinnvolle Reaktion verstanden werden.
Trauer kann eine sinnvolle Basisreaktionsmöglichkeit sein, mit der wir der Verletzung Ausdruck geben, uns selbst den Raum und die Zeit nehmen, damit umzugehen, womöglich sogar neue Kräfte generieren, die uns helfen, die veränderte Lebenssituation zu organisieren, und sie unterstützt uns darin, weitere Gefühle, wie Frust und Zorn zu erleben. Auch in der Trauer (wie schon in der Wut, der Angst) steckt viel Energie. Ein wesentlicher Faktor ist die Zeit, die wir uns selbst geben, um die Trauer erleben zu dürfen. Auch hier gibt es kein einheitliches Maß, das für den Trauerprozess bei allen Menschen gleich wäre und es hängt ebenso von dem auslösenden Lebensereignis ab. Hält die Trauer über einen Verlust einen längeren Zeitraum an und gelingt keine ausreichende Trauerverarbeitung, kann sich möglicherweise eine Anpassungsstörung (Anpassung an die veränderten Lebensumstände) entwickeln.
Unterschiede zwischen Trauer und Depression
In diesem Blogbeitrag schreibe ich hauptsächlich über die Basis-Emotion Trauer, die es als unmittelbare menschliche Reaktion auftreten kann. Trotzdem ist ein kurzer Blick auf die Unterschiede zwischen Traurigkeit und Depression sinnvoll. Die Depression beschreibt einen Zustand der deutlich gedrückten Stimmungslage und Antriebslosigkeit, der über mindestens zwei Wochen andauert. Sie unterscheidet sich wesentlich von einer Trauerreaktion, da bei einer Depression gerade das Gefühl der Gefühllosigkeit, also das Unvermögen, Gefühle wie Trauer, Freude, Mitleid, Liebe oder andere, zu empfinden, auftritt. An Depression erkrankte Menschen sagen häufiger aus, dass sie sich als wie versteinert, gleichgültig oder leer empfinden. Um genauer zwischen Trauer und Depression zu unterscheiden und um herauszufinden, ob ein Mensch an Depressionen erkrankt ist, ist es notwendig, einen Psychotherapeuten oder Arzt aufzusuchen.
Übrigens können in einem Trauerprozess auch die vier Phasen der Trauerbewältigung auftauchen, die von der Schweizer Psychologin Verena Kast beschrieben werden (1. Leugnen, 2. aufbrechende Emotionen, 3. Suchen und Sich-Trennen, 4. Neuer Selbst- und Weltbezug). Es ist aber keineswegs gesagt, dass sie genau so und immer in dieser Reihenfolge ablaufen.
Wie geht man mit der Trauer sinnvoll um?
Wie aber reagiert man selbst am besten auf Gefühle der Trauer? Trauer kann sich anfühlen wie eine Welle, die über einen hineinbricht, oder wie ein Meer von Traurigkeit, das schier endlos erscheint… Sie kann ohne Vorwarnung auftreten oder einen wiederholt begleiten. Das Ausmaß der Traurigkeit kann einem Angst machen; obwohl sie eine lebenswichtige Funktion hat, fällt es oft schwer, das Gefühl zuzulassen. Wie auch die Wut wird die Trauer zu den „negativen“ Gefühlen gezählt, die gesellschaftlich nicht anerkannt sind. Deshalb spielt sich Trauer häufig leise und im Verborgenen ab; niemand soll mitbekommen, welche überwältigenden Gefühle einen gerade gefangen nehmen. Nicht zu jeder Zeit und Kultur ist dieser Umgang mit Trauer jedoch gleich; in manchen Epochen und Kulturkreisen gehören beispielsweise lautes Weinen und Schreien zur Trauerklage um einen Verstorbenen.
Im besten Fall darf die Traurigkeit da sein; ob sie sich nun in Weinen äußert, in langen Gesprächen, Schweigen, im zeitweisen Rückzug, in langen Spaziergängen oder… Wenn wir bemerken, dass eine Traurigkeit in uns aufkommt, ist es gut, ihr mit einer freundlichen, aufmerksamen Haltung zu begegnen; ähnlich einem „Aha, du bist auch da.“ Statt sie direkt abschütteln zu wollen, können wir uns vielleicht entscheiden, sie für eine kurze Zeit anwesend sein zu lassen. Dabei hilft, wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, dass sie auch etwas für uns (statt gegen uns) will: Sie hilft uns, den Verlust besser zu verarbeiten, sie reinigt uns, sie hilft uns vielleicht dabei, besser loszulassen, und sie erhält in uns eine Weichheit. Wenn wir es schaffen, uns eine Zeitlang auf die Traurigkeit einzulassen, kann das eine enorm befreiende und verändernde Wirkung haben.
Die Traurigkeit wertschätzen
Es macht einen wichtigen Unterschied, ob wir die Traurigkeit in uns ablehnen oder ob wir ihr mit Wertschätzung begegnen. Wir sind oft sehr damit beschäftigt, ihr aus dem Weg zu gehen oder gegen sie anzukämpfen, weil wir eine Schwäche in ihr vermuten. Stattdessen kann sie jedoch einen besonderen Wert für uns entfalten, wenn wir ihr gegenüber aufmerksam sind und das besondere Bedürfnis, das in unserer Trauer liegt, anerkennen. Wenn wir ihr so gegenübertreten, ist die Traurigkeit weit entfernt davon, eine Schwäche zu sein, sondern hilft uns vielmehr dabei, uns tiefer zu öffnen, uns lebendiger zu fühlen und Kraft freizusetzen. Vielleicht braucht es dabei etwas Übung oder einen erfahrenen Begleiter, dennoch liegt eine wesentliche Bedeutung in dem Schritt, eine wertschätzende Haltung zur Trauer zu entwickeln.
Und lassen sie sich nicht entmutigen: Auch Lachen/Freude und Trauer schließen sich nicht gegenseitig aus! Vielleicht haben Sie auch schon die Erfahrung gemacht, dass es gerade in traurigen Zeiten Momente gab, in denen Sie besonders tief lachen mussten. (Manche nennen das schwarzen Humor. :-)) Oder sie haben bemerkt, dass neben den traurigen Erinnerungen auch ein paar lustige Geschichten im Trauerprozess hochkamen. Schließen Sie das nicht aus oder haben ein schlechtes Gewissen deswegen. Die Gefühle existieren immer alle gleichzeitig in uns und können sich gegenseitig abwechseln.
Ich wünsche Ihnen viel Mut und Gelassenheit im Umgang mit Traurigkeit. Nehmen Sie sich dazu die Zeit und den Raum, die Sie brauchen.
Die eigenen Werte leben
Wie bin ich aktuell auf das Thema gekommen? Vor Kurzem habe ich das Buch „…trotzdem Ja zum Leben sagen“ von Viktor Frankl (1905-1997) gelesen, der darin beschreibt, wie er als Psychologe im Zweiten Weltkrieg den Aufenthalt im Konzentrationslager erlebt hat. Ein sehr beeindruckendes Buch, das ich wirklich empfehlen kann. Frankl vermittelt durch seine Erinnerungen, dass es auch unter schlimmsten Bedingungen möglich ist, eine vertrauensvolle Einstellung zum Leben zu bewahren und dem Leben einen Sinn zu geben. Manchmal bedeutet es, sich die Frage, was dem eigenen Leben Sinn gibt, mehrmals und erneut zu stellen.
Die Frage nach dem Sinn ist eng verknüpft damit, sich über die eigenen Werte bewusst zu sein. Das eigene Leben wird oftmals dann sinnerfüllt erlebt, wenn es nach den eigenen Werten ausgerichtet ist bzw. mit ihnen übereinstimmt. Werte helfen uns dann, wenn wir im Zweifel darüber sind, wie wir uns verhalten oder wofür wir uns entscheiden sollen. Soll ich aus beruflichen Gründen wegziehen oder bleibe ich bei meiner Familie und behalte meinen alten Job? Erfülle ich die Erwartungen, die jemand anderes an mich richtet, oder bleibe ich mir selbst treu? Werte entscheiden oft unbewusst darüber, wie wir uns in bestimmten Situationen verhalten und ob wir mit uns und unserem Leben zufrieden sind.
Was sind Werte?
Werte lassen sich beschreiben als diejenigen Vorstellungen, die wir innerhalb einer Gemeinschaft oder Gruppe als besonders wünschenswert erachten. Es sind Qualitäten, die wir besonders schätzen und die wir persönlich oder gesellschaftlich verwirklicht sehen möchten. Sie fallen uns vor allem dann auf, wenn sie nicht vorhanden sind – es sind diejenigen Eigenschaften und Qualitäten, auf die wir am wenigsten verzichten können. Dennoch haben nicht alle Menschen die gleichen Werte, sondern jeder Mensch entwickelt individuelle Werte – und Werte können sich mit der Zeit und sogar durch den Kontext verändern.
Welche Werte gibt es und wie können wir dann herausfinden, welche Werte für uns eine Bedeutung haben? Typische Werte in unserer Zeit sind beispielsweise: Liebe, Familie, Gemeinschaft, aber auch beruflicher Erfolg und Unabhängigkeit, Freiheit, Geld, Sicherheit oder Spaß. Es gibt eher politisch geprägte Werte (Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit), Werte, die sich auf die Familie beziehen (Geborgenheit, Vertrauen, Gesundheit) oder Unternehmenswerte (Engagement, Karriere, Pünktlichkeit) u.a. Wir nähern uns unseren eigenen Werten am besten an, indem wir nicht so sehr auf die kleinen Dinge schauen, die uns im Alltag wichtig sind (schöne Kleidung, gute Unterhaltung, genügend Schlaf), sondern auf das, was wir langfristig brauchen, um zufrieden zu sein und Sinn zu erleben.
Gute Fragen, die mich zu meinen Werten führen, sind:
- Was im Leben ist mir wirklich wichtig und hat Bedeutung für mich?
- Wofür würde ich mich immer engagieren?
- Für welchen Wert möchte ich in meinem Leben stehen?
- Für welchen Wert/welche meiner Werte sollen andere mich kennen?
- Welchen Wert möchte ich auf der Welt vergrößern?
- Welcher Wert muss in meinem Beruf erfüllt sein, damit ich mich wohl und zufrieden fühle?
- Welche Sache würde ich wirklich vermissen, wenn sie fehlen würde? (Und welcher Wert steckt dahinter?)
Wenn Sie sich Zeit nehmen, diese – zugegeben nicht ganz einfachen – Fragen in Ruhe zu beantworten, haben Sie vermutlich schon ein klareres Bild gewonnen, welche Werte für Sie konkret wichtig sind. Oft wird dadurch die Richtung im eigenen Leben bereits klarer und wir fühlen uns sicherer bei Entscheidungen, wenn wir uns unsere wichtigsten Werte in Erinnerung rufen. Trotzdem ist es zunächst nur der erste Schritt, unsere Werte besser kennenzulernen. Genauso wichtig ist es, herauszufinden, was Sie mit diesen Werten meinen, das heißt, diese Werte mit Leben zu füllen. Für den einen bedeutet der Wert „Liebe“ vielleicht, dass er seiner Beziehung Vorrang geben möchte, früh heiraten und eine Familie gründen will; für jemand anderen kann es bedeuten, dass er Liebe in seinem Berufsleben verwirklichen will und einen Beruf sucht, bei dem er anderen Menschen helfen kann und dadurch seinen Werten dient und seinem Leben Sinn verleiht.
Die folgenden Fragen können Ihnen dabei helfen, Ihre wichtigsten Werte genauer zu definieren und ihre Bedeutung weiter zu ergründen. Darin zeigt sich auch schon etwas von der Orientierung für Ihr Handeln, die in Ihren Werten steckt:
- Woran merke ich, dass mein Leben in Einklang mit meinen Werten ist?
- Wie sieht es aus, wenn ich nicht in Einklang mit meinen Werten lebe?
- Wie verhalte ich mich, wenn ich meine Werte kleines bisschen mehr als sonst in den Mittelpunkt stelle?
Ich wünsche Ihnen, dass Sie durch die Fragen mehr Klarheit über Ihre Werte gewinnen und dass sie Sie zu einem erfüllten Leben ermutigen und inspirieren!
Ich schaffe das! Selbstvertrauen & Selbstbild
Im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass Erfolge und Misserfolge eines Menschen maßgeblich von dessen Begabungen abhängen. Jemand hat ein besonderes Talent, mit Zahlen umzugehen? Derjenige wird bestimmt mal ein ausgezeichneter Mathematiker, Physiker oder Ingenieur. Jemand anders war dagegen als Kind eher unsportlich – aus diesem Menschen wird bestimmt kein erfolgreicher Sportler! So oder so ähnlich wird unsere spontane Beurteilung wahrscheinlich ausfallen.
Die US-amerikanische Psychologin Carol Dweck hat dagegen in unzähligen Studien und Experimenten mit Spitzensportlern, Geigenvirtuosen, Elitestudenten und Führungskräften herausgefunden, dass vielmehr unser Selbstbild und unsere Bereitschaft dazuzulernen und uns weiterzuentwickeln entscheidend dafür sind, wie erfolgreich wir sind. Am Beginn stand ein Experiment mit Schulkindern: Dweck ließ Kinder einer Grundschulklasse einzeln mehrere Denksportaufgaben lösen, deren Schwierigkeitsgrad etwas zu hoch für sie war. Sie wollte damit herausfinden, wie die Schüler mit Herausforderungen umgingen.
Zu ihrer Überraschung reagierten die Kinder jedoch nicht etwa negativ und waren frustriert, dass die Aufgaben zu schwer für sie waren, sondern sagten so etwas wie: „Ich liebe kniffelige Rätsel!“ oder „Wissen Sie, genau das hatte ich gehofft: Dass ich hier etwas lerne.“ Sie konnten mit ihrem Misserfolg nicht nur relativ gut umgehen, sondern sie scheiterten gern an ihrer Aufgabe! Dieses Ergebnis interessierte Dweck so sehr, dass sie mehr über diese Einstellung herausfinden wollte. Aus diesem Grund führte sie weitere Studien mit unterschiedlichen Personengruppen durch.
Statisches oder dynamisches Selbstbild
Dies führte zu ihrer Entdeckung, dass es zwei verschiedene (Grund-)Einstellungen gibt, mit denen wir Herausforderungen begegnen: Entweder sind wir überzeugt, dass uns unsere Fähigkeiten und Talente von Geburt an mitgegeben wurden und dass wir selbst nichts tun können, wenn uns eine Sache nicht liegt und wir kein Talent dafür besitzen. Dann besitzen wir nach Carol Dweck ein statisches Selbstbild. Oder aber wir sind überzeugt, dass wir unsere Eigenschaften weiterentwickeln können und dass wir, wenn wir nur ordentlich üben und uns anstrengen, jedes realistische Ziel erreichen können. – Ähnlich wie die Kinder, die in ihrem Scheitern kein Problem sehen, sondern darauf vertrauen, dass sie die Herausforderung mit etwas mehr Übung meistern werden und sogar Spaß daran haben.
Das dynamische Selbstbild entspricht der Brille eines gesunden Selbstvertrauens: Wenn ich etwas noch nicht kann, es aber gern können/erreichen möchte, werde ich weiter daran glauben, dass ich es schaffen kann. Ich werde es trotzdem weiter versuchen und nehme Misserfolge und Fehlschläge auf dem Teil Weg dorthin in Kauf – wenn dahinter die Einstellung steht, dass ich mich durch eigene Anstrengung weiterentwickeln kann. Wenn ich stattdessen (unbewusst) die Einstellung habe, dass meine Leistungen allein auf Talent beruhen, ist jede weitere Anstrengung zwecklos und ich werde jeden Fehler als weiteren Rückschlag interpretieren.
Scheitern ist nicht das Gegenteil von Erfolg – es ist ein Bestandteil davon. (Arianna Huffington)
In ähnlicher Weise wie beim Experiment mit den Schulkindern fand Dweck in den Studien mit weiteren Personengruppen heraus, dass diejenigen, die Spitzenpositionen in ihren jeweiligen Berufsbereichen erreicht und es zu besonderer Virtuosität gebracht hatten, zu Beginn ihrer Karriere oder in ihrer Schulzeit keineswegs diejenigen gewesen waren, die sich durch das höchste Talent ausgezeichnet hatten. Talent spielt zwar eine Rolle, aber auf den späteren Erfolg haben das Selbstbild bzw. die Einstellung zu Herausforderungen sowie die Ausdauer und Anzahl der Übungsstunden einen viel größeren Einfluss.
Was lassen sich diese Erkenntnisse auf unseren Umgang mit Herausforderungen übertragen?
- Herausfinden, welches Selbstbild wir unbewusst haben: Beobachten Sie sich selbst bzw. gehen Sie in ihrer Vorstellung Situationen durch, in denen Sie in der letzten Zeit herausgefordert waren: Wie reagieren Sie? Denken Sie eher dynamisch (prozessorientiert) oder statisch? Haben Sie das Scheitern als Misserfolg gesehen oder als Möglichkeit, etwas Neues zu lernen und sich weiterzuentwickeln?
- Die Perspektive des „noch nicht“: Schauen Sie die gleichen Situationen (oder solche, die in den nächsten Tagen auf Sie zukommen) mal aus der Perspektive des „noch nicht“ an. Statt: „Ich bin daran gescheitert, eine berufliche Aufgabe zu meistern, eine Stunde lang durchgehend im Park zu joggen, die Beziehung zu meinem Partner zu verbessern etc.“ lieber: „Ich kann es noch nicht/weiß noch nicht, was ich dafür tun kann.“ Damit erkennen Sie die Möglichkeit an, in diesem Prozess weiterzukommen.
- Neu wählen: Wenn Sie erkannt haben, zu welchen Selbstbild Sie tendieren, haben Sie wieder die Wahl, ob Sie dabei bleiben oder eine neue Haltung einnehmen möchten. Sie können entscheiden, ob Sie daran festhalten möchten, dass Ihre Talente angeboren sind, oder ob Sie daran glauben, dass Sie sich weiterentwickeln können. Vor allem können Sie entscheiden, wie Sie mit Herausforderungen umgehen: ob Sie sie als negativ beurteilen und lieber vermeiden oder ob Sie sie als Chance sehen und kleine Schritte auf Ihrem Weg machen.
Übrigens: Nicht immer fällt es leicht, alte Muster abzulegen und sich eine neue Haltung anzueignen. Dann helfen Gespräche mit Freunden oder Sie suchen sich Unterstützung durch einen Coach.
- Neues ausprobieren: Menschen mit einem dynamischen Selbstbild probieren gern neue Dinge aus, weil Sie gern dazulernen und weniger Angst davor haben, Fehler zu machen. Vielleicht versuchen Sie mal, eine neue Fähigkeit zu erlernen oder eine Aktivität zu unternehmen, die Sie bisher gescheut haben – oder Sie probieren einfach für eine Woche eine neue Haltung aus, wie: „Ich kann das schaffen!“ oder „Es macht nichts, wenn ich einen Fehler mache; daran merke ich, dass ich auf dem Weg bin und etwas lerne.“
Ich wünsche Ihnen viel Kreativität und einen gelassenen Umgang mit Herausforderungen!
Literatur:
- Carol Dweck, Selbstbild. Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt, München 2014.
Gedanken und Impulse zum Umgang mit Angst
Angst ist ein universelles Phänomen – jeder Mensch erfährt im Lauf seines Lebens das Gefühl, Angst zu haben, sei es die Angst vor bestimmten Situationen, wie zum Beispiel vor Prüfungen, vor Konflikten, vor Nähe oder auch vor Einsamkeit, die Angst vor dem Jobverlust, vor dem Scheitern oder auch vor gesellschaftlichen Veränderungen. Man kann sagen, dass die Emotion Angst alle Menschen miteinander verbindet, gleichzeitig gibt es eine sehr große Zahl individueller Ängste.
Der Psychoanalytiker Fritz Riemann (1902-1979) unterscheidet in seinem Grundlagenwerk zu diesem Thema vier Grundformen der Angst:
- Die Angst vor der Hingabe: Als Menschen spüren wir den Wunsch, uns dem Leben und unseren Mitmenschen vertrauensvoll zu öffnen, uns einzulassen und in Austausch mit der Welt zu treten. Mit der Hingabe zur Welt ist jedoch gleichzeitig die Angst verbunden, unser Ich zu verlieren und von anderen abhängig zu sein. Wird unser Bedürfnis nach Sicherheit und Vertrauen in die Welt früh nicht erfüllt, kann sich daraus Existenzangst entwickeln. Nähe und Bindung erscheinen dann bedrohlich.
- Die Angst vor der Selbstwerdung: Sie ist das Gegenteil der Angst vor der Hingabe. Wir alle streben danach, ein unverwechselbares, einmaliges Individuum zu werden, das sich von anderen unterscheidet. Wenn wir uns von allen unterscheiden, kann daraus jedoch auch die Angst resultieren, aus der Geborgenheit des Dazugehörens und der Gemeinschaft herauszufallen, was Einsamkeit und Isolierung bedeuten würde. Trennungsangst entsteht: Aus Angst, allein zu sein, versucht man, dem anderen größtmöglich nahe zu sein.
- Die Angst vor der Veränderung: Riemann unterscheidet ein weiteres Gegensatzpaar: Auf der einen Seite steht die Angst vor dem Wagnis des Neuen, vor dem Planen ins Ungewisse. Dahinter steht der Wunsch, das alles Dauer und Verlässlichkeit haben soll, dass wir uns einrichten und in die Zukunft planen können, zielstrebig sind. Die Angst verdeutlicht uns, dass alles in jedem Augenblick zu Ende sein kann. Auch die Angst vor Schuld und Strafe spielt hinein, die uns daran hindern kann, selbstverantwortliche Entscheidungen zu treffen und Risiken einzugehen.
- Die Angst vor der Notwendigkeit: Auf der anderen Seite steht die Angst davor, festgelegt und begrenzt werden zu können, was uns als Erstarrung und Endgültigkeit erscheinen kann. Hier erscheint als bedrohlich, dass wir nicht mehr weiterentwickeln, nicht mehr lebendig sein könnten. Damit ist die Weigerung verbunden, Verantwortung zu übernehmen. Im Kern kann darin die Angst stecken, den Forderungen und Erwartungen von außen nicht gerecht zu werden, nicht liebenswert zu sein.
Riemanns Modell zufolge tendiert jeder Mensch zu einer der genannten Grundformen der Angst. Damit sind jedoch nicht zwangsläufig eine pathologische Angst und die Entwicklung einer Angststörung gemeint; vielmehr steckt hinter jeder dieser Ängste eine Lebensaufgabe, die ein Mensch zu bewältigen hat.
Wie aber lässt sich mit der Angst umgehen? Was kann man tun, um von der Angst nicht überwältigt zu werden, sondern möglichst konstruktiv mit ihr umzugehen? Im Folgenden möchte ich Ihnen mehrere Möglichkeiten und Impulse vorstellen, wie Sie Ihren Ängsten begegnen und sie auf eine zu bewältigende Größe reduzieren können.
1. Die Angst annehmen
Der erste Schritt im Umgang mit Angst ist immer, sie anzunehmen. Es mag paradox klingen; jedoch ist eine entscheidende Erfahrung im Umgang mit Gefühlen: Je mehr ich sie wegzuschieben versuche, desto hartnäckiger tauchen sie wieder auf. In der Situation selbst kann es bedeuten, dass ich die Angst und die damit verbundenen Körpersymptome erst einmal als Realität akzeptiere: Es ist okay, wenn ich Angst vor einer Prüfung, einem wichtigen Gespräch oder davor, abgelehnt zu werden, habe. Und es ist auch okay, wenn ich deshalb Herzklopfen, einen Schweißausbruch oder zittrige Hände bekomme. Die Angst für den Moment zu akzeptieren ist nicht gleichbedeutend damit, sie passiv hinzunehmen und zu erdulden. Im Gegenteil ist es die bewusste Entscheidung, der Angst ins Auge zu blicken. Es ist der erste Schritt aus der Opferrolle.
Hilfreich kann dabei sein, sich zu fragen, welche positive Absicht hinter der Angst steckt. Die Hauptintention von Angst ist, uns in Alarmbereitschaft zu versetzen: Sie will uns melden, dass von irgendwoher eine Gefahr droht und möchte uns in der Regel davor bewahren, dass wir verletzt, enttäuscht werden oder sonst eine schmerzvolle Erfahrung machen. Wenn wir innehalten und die Angst einfach nur als dieses Signal wahrnehmen, haben wir die Wahl, uns wieder neu zu entscheiden.
2. Partialisieren
Ein weiterer bedeutender Schritt kann sein, die Angst als einen inneren Teil von mir wahrzunehmen – nichts anderes bedeutet der Begriff „partialisieren“. Jeder Mensch trägt verschiedene Anteile in sich und hat unterschiedliche Seiten, die je nach Situation stärker oder geringer hervortreten können (ängstlich, selbstbewusst, ärgerlich, liebevoll etc.). Wenn ich momentan von der Angst überwältigt werde, hilft es, mich daran zu erinnern, dass gerade etwas Ängstliches in mir ist, dass ich aber auch noch andere Seiten habe. Vielleicht kann ich den ängstlichen Teil sogar in meinem Körper lokalisieren und nehme daneben noch andere körperliche Eindrücke wahr. Wenn ich meine Wahrnehmung darauf richte, dass die Angst nur ein Teil von mir ist – ich selbst aber nicht vollständig diese Angst bin, macht dies einen fundamentalen Unterschied in meinem Erleben. Mit diesem Schritt mache mich selbst größer als meine Angst und erlebe mich wieder als handlungsfähig.
3. Was ist das Schlimmste, das passieren könnte?
In den Momenten, in denen die Angst uns überfällt, malen wir oft besonders schwarz und erzählen uns selbst alle möglichen Horrorszenarien, die eintreten könnten. Oft versuchen wir dann verzweifelt, genau diese Befürchtungen wegzuschieben und die Angst zu unterdrücken – mit dem bekannten Ergebnis, dass sie nur umso heftiger zurückschlägt. Ein anderer Weg ist, der Angst buchstäblich ins Auge zu blicken und uns die Frage zu stellen, was im schlimmsten Fall passieren könnte? Dabei ist es erlaubt, sich das Katastrophen-Szenario in allen Details auszumalen: Was würden wir fühlen, was könnte uns im schlimmsten Fall passieren? Welche Auswirkungen hätte es auf unser Leben? Wenn wir uns die schlimmsten Folgen, die unser Gehirn sich vorstellen kann, vor Augen führen, passiert meistens von selbst, dass wir merken, dass unsere Vorstellungen nicht vollkommen der Realität entsprechen. Darüber hinaus sollten wir uns die folgende Frage stellen: Wie wahrscheinlich ist das? Es ist sinnvoll, unsere Vorstellungen und unser Kopfkino mal einem Realitätscheck zu unterziehen.
4. Unsere körperliche Reaktion neu bewerten
Neben den Gedanken sind es ja häufig unsere körperlichen Reaktionen, gegen die wir in Situationen, in denen wir Angst fühlen, besonders ankämpfen. Herzklopfen und trockener Mund, Engegefühl im Hals oder in der Brust, Schweißausbrüche und Zittern sind nur einige der typischen und meist unbeliebten Symptome. Die Körpersymptome an sich sind nicht unser Feind und klingen in der Regel auch bald wieder ab, wenn wir uns nicht zu lange damit befassen. Ein Gedanke, der unsere Sichtweise auf die Symptome verändern kann ist, dass die gleichen Symptome bei Angst wie auch bei freudiger Aufregung auftreten! Das bedeutet, jemand, der frisch verliebt ist und das erste Date mit dem geliebten Menschen hat, wird hat die gleichen körperlichen Symptome! Dieser Gedanke kann uns möglicherweise darin unterstützen, die Körpersymptome als Begleitumstände für ganz verschiedene Umstände und nicht als gegen uns gerichtet zu bewerten.
5. Bewegung
Last but not least hilft Bewegung als akute aber auch als langfristige Maßnahme, um Angstgefühle zu verringern. Eine häufige Reaktion auf die Angstsituation ist, dass wir zu erstarren scheinen. Wir scheinen wie gelähmt, erleben uns selbst als handlungsunfähig und die Gedanken kreisen im Kopf. Dann ist es besonders wirksam, wenn wir uns dazu durchringen, doch irgendeine Form von Bewegung auszuführen: sei es mit flotten Schritten ein paar Mal um den Block laufen, unseren Lieblingssport ausüben, Joggen gehen oder uns aufs Fahrrad setzen. Bewegung durchbricht die Erstarrung und der Körper hat die Gelegenheit, uns wieder mit der Wirklichkeit zu verankern, den Kopf frei zu machen und neue Impulse zu geben. Auch langfristig hilft zum Beispiel Ausdauersport dabei, Angst und Anspannung signifikant zu senken.
Egal für welchen Umgang mit der Angst Sie sich entscheiden: Das wirksamste Mittel gegen die Angst bleibt, das tun, wovor man Angst hat. Es ist aber sinnvoll, sich der Angst in kleinen Schritten zu nähern, einen guten Umgang mit der Angst zu kultivieren – und achtsam zu sein, wenn man sich ihr annähert.
Ich wünsche Ihnen viel Mut und Entschlossenheit im Umgang mit Ihrer Angst!
Literatur:
Fritz Riemann, Grundformen der Angst, München 2013, 41. Auflage.
Gedanken zum Thema Hochsensibilität
Weil das Thema viel mit mir zu tun hat und weil ich als Coach häufiger danach gefragt werde, möchte ich den aktuellen Blogbeitrag dem Thema Hochsensibilität widmen. Lange war mir selbst nicht klar, dass Menschen eine so verschiedene Wahrnehmung haben können und Situationen vollkommen anders erleben. Für mich war typisch, dass ich viele Dinge gleichzeitig spüre und wahrnehme, ein gutes Gefühl für alles Zwischenmenschliche besitze und ein empfindliches Gehör für Klänge habe.
Das sind einige typische Eigenschaften von Hochsensibilität – die jedoch nicht für jeden hochsensiblen Menschen alle gleich zutreffen müssen. Die meisten Hochsensiblen nehmen jedoch sehr differenziert wahr, das heißt wenn sie beispielsweise einen Raum betreten, erfassen sie die darin anwesenden Menschen, ihre Stimmungen, das Gesagte, aber auch zum Beispiel die Proportionen des Raumes, die Temperatur, Farben, einen Luftzug oder ob es eher stickig in dem Raum ist. Bei bestimmten Reizen kann das Erleben besonders intensiv sein, zum Beispiel bei Geräuschen oder Gerüchen, vor allem aber bei allen ‚Schwingungen‘, die zwischen Menschen entstehen, bei Gefühlen und leisen Zwischentönen.
Nicht-Hochsensible betreten den gleichen Raum und sehen möglicherweise das Gleiche, jedoch fallen ihnen nicht so viele Feinheiten und Unterschiede auf, das heißt sie reagieren nicht so empfänglich auf die Reize. Mit anderen Worten: In der gleichen Situation und bei ein und demselben Reiz kann das Erregungsniveau des Nervensystems bei Hochsensiblen höher als bei Nicht-Hochsensiblen sein. Das Wort ‚hochsensibel‘ ist vor diesem Hintergrund etwas irreführend: Im Englischen wird der Begriff ‚highly sensitive person‘ (‚hochsensitiv‘) verwendet, der eher den Zusammenhang zur Wahrnehmung von Sinnesreizen herstellt.
Die Qualität hochsensibel zu sein, hat auch Schattenseiten: Hochsensible sind oft dünnhäutig, sie reagieren empfindsam auf äußere Einflusse, die Reize in der Außenwelt, aber auch ihre eigenen Gefühle und Gedanken können ihnen zuviel werden, sie sind mitunter schneller erschöpft und sie brauchen oft mehr Zeit, die Dinge zu verarbeiten. Und ich kenne fast keinen Hochsensiblen, für den es nicht schwierig ist, sich gut abzugrenzen. Man könnte auch sagen, dass sie lernen müssen, angemessen auf sich und ihre Sensibilität zu achten. Schwierig wird es vor allem dann, wenn sie diese Eigenschaft bei sich selbst ablehnen.
Seitdem ich mich mehr mit dem Thema beschäftige, ist mir jedoch ebenfalls sehr klar geworden, dass Hochsensibilität eine großartige Stärke ist: Ich habe eine feinere Wahrnehmung für andere und für mich selbst. Das trägt auch zu einer starken Intuition bei, einfach weil ich halb bewusst, halb unbewusst viel mehr Informationen aufnehme und weiterverarbeite. Daraus entwickelt sich oft ein gutes Gespür und eine Klarheit, ohne genau sagen zu können, woher es kommt. Hochsensible haben zudem häufig viele kreative Eigenschaften, nicht umsonst sind vor allem viele Künstler, Schriftsteller und Erfinder hochsensibel.
Hochsensibilität ist nicht gleich Introvertiertheit, ist nicht gleich Schüchternheit, ist nicht gleich Unsicherheit oder Angst
Last but not least noch ein Wort zu den häufigsten Vorbehalten, denen Hochsensible begegnen. Hochsensibilität ist nicht gleichbedeutend mit Introvertiertheit. Natürlich können hochsensible Menschen auch introvertiert sein und dazu neigen, leise und nach innen gekehrt zu sein. Es gibt aber ebenso extrovertierte Hochsensible, die zwar sensibel auf innere und äußere Reize reagieren, aber trotzdem großen Spaß daran haben, neue Menschen kennenzulernen und Teil einer Gruppe zu sein. Von ihrer Umwelt kann Hochsensiblen (aus Unwissenheit) gespiegelt werden, sie seinen besonders schüchtern oder ängstlich – eine feinere Wahrnehmung und ein auf Hochtouren arbeitendes Nervensystem sagen jedoch nichts darüber aus, ob sie in sozialen Situationen besonders schüchtern reagieren.
Hochsensibilität ist eine Eigenschaft von vielen, die eine Person auszeichnen können. Es ist sehr wertvoll, sie besser kennenzulernen und sogar zu nutzen, weil Sie durch diese Seite einen ganz individuellen, besonderen Beitrag in die Welt bringen.
Wenn Sie neugierig auf das Thema geworden sind, empfehle ich ihnen gern das Buch von Elaine Aron: Sind Sie hochsensibel? Wie Sie Ihre Empfindsamkeit erkennen, verstehen und nutzen, München 2005.
Teilen Sie mir gern Ihre Meinung und Gedanken zum Thema Hochsensibilität mit!