Kraftquellen: Was nährt mich wirklich?

Seit Beginn des letzten Jahres – also noch vor Corona – habe ich mir die Frage gestellt, was mir guttut und was mich persönlich nährt. Die Frage hat mich das ganze Jahr über begleitet und ich habe immer wieder aufmerksam wahrgenommen, was mir gute Energie gibt, besonders in den Phasen, in denen ich meinen Energiespeicher wieder auffüllen musste. Ich wollte etwas dafür tun, um mich gesund und wohl zu fühlen, und habe mich deshalb auf die Suche nach meinen Kraftquellen gemacht.

Meine aktuelle Antwort auf die Frage, was mich wirklich nährt, lautet: Schlafen, Bewegung (z.B. laufen, wandern und Yoga), meinem Körper zuhören, (Herzens-)Gespräche mit Freunden, Zeit in der Natur, Zeit fürs Nichtstun, Zeit für Spiritualität, gesundes Essen, eine sinnvolle Arbeit, Pausen bei der Arbeit machen, mich unterstützen lassen (z.B. durch Supervision), Grenzen setzen (z.B. auch bei der Arbeitszeit), Tanzen, Musik, Lesen, Ausflüge am Wochenende, neue Dinge lernen, Achtsamkeit.

Die individuellen Kraftquellen herauszufinden kann auch bedeuten, sich mit den eigenen Bedürfnissen zu beschäftigen: Welche Bedürfnisse erfülle ich mir im Allgemeinen sehr gut, welche Bedürfnisse werden weniger genährt? Habe ich ein Gefühl dafür und nehme wahr, was ich brauche? Fällt es mir eher leicht oder schwer, meine Bedürfnisse zu kommunizieren und für ihre Erfüllung zu sorgen? Übernehme ich Verantwortung für meine tiefen Bedürfnisse? Spannend finde ich auch, ein Bedürfnis auszuwählen (z.B. Sicherheit, Liebe, Geborgenheit etc.) und eine Weile achtsam wahrzunehmen, wie es auf mich wirkt, wenn ich damit in Kontakt bin…

Die Suche nach den Kraftquellen bedeutet gleichzeitig nicht, dass ich mich ständig in meiner Kraft fühle oder dass es mir andauernd gut gehen muss… Paradoxerweise kann es auch eine Kraftquelle sein, wenn ich mir erlaube, dass es mir auch mal schlecht gehen darf. Müdigkeit und Erschöpfung haben auch eine nährende Funktion: Sie zeigen mir an, wann es für mich wichtig ist, langsamer zu machen, eine Pause einzulegen oder eine Auszeit zu nehmen. Das Nährende kann sein, die darin enthaltene Botschaft zu hören und sich der Erschöpfung hinzugeben.

Weitere Anregungen für mehr Kraft und Energie

Welche Möglichkeiten gibt es, um mich mit Energie zu versorgen und wieder Kraft zu schöpfen? Eine Auswahl möchte ich hier gern vorstellen:

1. Für Schlaf sorgen. Schlaf ist die Basis, um sich wohl und gut versorgt mit Energie zu fühlen. Finden Sie heraus, wie viel Schlaf Sie benötigen (in der Regel mindestens 6 bis 8 Stunden pro Nacht). Sorgen Sie für Regelmäßigkeit und eine ruhige Schlafumgebung. Auch regelmäßige Bewegung am Tag hilft, um gut ein- und durchzuschlafen. Vielleicht hilft es auch, ein Schlaftagebuch zu führen, um die nötige Schlafdauer besser einzuschätzen.

2. Pausen und Entspannungszeiten einplanen. Sie können Ihre Pausen über den Tag verteilt bereits vorab einplanen und sogar in den Terminkalender eintragen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass kurze Pausen nach jeweils 90 Minuten notwendig und am effektivsten sind. Auch regelmäßige Entspannungszeiten, wie ein freier Tag am Wochenende oder unter der Woche sowie Urlaube sollten fest eingeplant werden.

Erlernte Hilflosigkeit: Da kann man nichts machen…

In den 1960er Jahren fanden die amerikanischen Psychologen Martin E. P. Seligman und Steven F. Maier in Versuchen mit Hunden heraus, dass wiederholte Erfahrungen von Hilf- und Machtlosigkeit dazu führen können, dass die Tiere sich standardmäßig passiv und vermeidend verhalten. Die Versuche zeigten, dass die Tiere auch dann weiterhin hilflos und resigniert reagierten, wenn sich die äußere Situation verbesserte. Das Modell der „erlernten Hilflosigkeit“ kann auf Menschen übertragen werden und meint entsprechend die Erwartung eines Individuums, bestimmte Situationen oder Sachverhalte nicht kontrollieren und beeinflussen zu können.

Mit anderen Worten verfestigt sich unter bestimmten Lebensumständen in uns der Glaube, dass wir es aus eigener Kraft nicht schaffen können, eine Situation zu verändern oder zu verbessern. Wir nehmen unbewusst eine passive Haltung ein und reden uns ein: „Ich kann nichts tun.“, „Das war schon immer so.“, „Das habe ich noch nie gekonnt.“, „An mir liegt es nicht – die anderen müssen sich verändern.“,

„Das Schicksal ist einfach gegen mich.“ Oft ist diese innere Haltung nicht spontan entstanden, sondern wurde schon früh geprägt, z.B. durch unsere Art, wie wir Misserfolge interpretieren oder auch durch ein Umfeld, das unsere scheinbare Hilflosigkeit bestärkte.

Der innere Ort der Geborgenheit

Am Jahresende kommen wieder einige Themen besonders nah an uns heran: Das Weihnachtsfest steht kurz bevor, Corona ist leider weiterhin präsent und auch allgemein sind wir vielleicht erschöpft nach allem, was wir zuvor geleistet und erfahren haben. Auch alte Ängste und Befürchtungen können in dieser Zeit erneut auftauchen.

Eigentlich könnten wir jetzt herunterfahren und uns eine Pause gönnen, und dennoch bleiben wir oft noch in unserem schnellen Tempo und fühlen uns innerlich gestresst. Momentan und in unserem Alltag ist es oft nicht möglich, dann sofort eine Urlaubsreise zu machen und an einem fernen Ort irgendwo am Strand zu entspannen.

Wenn wir innerlich mehr zur Ruhe kommen wollen und unserem erschöpften Ich eine Auszeit gönnen möchten, haben wir jedoch auch die Möglichkeit, uns nach innen zu wenden, und in uns selbst die Vorstellung eines Ortes entstehen zu lassen, der vollkommen unseren Vorstellungen von Ruhe und Geborgenheit entspricht.

Allein schon diese Vorstellung ist hilfreich, um innerlich aufzutanken und uns besser zu fühlen. Zahlreiche Studien belegen mittlerweile die Wirksamkeit von Imagination.

Im Folgenden möchte ich Ihnen die Übung des „inneren Ortes der Geborgenheit“ vorstellen, die Sie für sich anwenden können, wann immer Sie es möchten und brauchen:

Suchen Sie sich einen Ort, an dem Sie in den nächsten Minuten ungestört sind, und nehmen Sie eine bequeme Haltung im Sitzen oder Liegen ein.

Ich möchte Sie einladen, in Ihrer Vorstellung einen Ort entstehen zu lassen, an dem Sie sich ganz und gar wohlfühlen. Es kann ein Ort auf der Erde sein, muss es aber nicht. Verschiedene Ihnen bekannte Orte können sich mischen, wie in einem Traum. Es kann eine Landschaft sein, ein Ort in der Natur, ein besonderer Raum oder… Anders als in der Realität sind Ihnen in der Vorstellung keine Grenzen gesetzt.

  • Luise Reddemann, Imagination als Heilsame Kraft. Ressourcen und Mitgefühl in der Behandlung von Traumafolgen, Stuttgart 2019.

Was bedeutet Selbstfürsorge? 10 Impulse

Momentan ist für uns alle eine besondere Zeit, die uns vor neue Herausforderungen stellt, in der wir neue Handlungsmöglichkeiten entwickeln und in der wir auch vielfach auf uns selbst zurückgeworfen sind – einfach, weil wir mehr Zeit zuhause, mit uns selbst verbringen (im Homeoffice, bei der Kinderbetreuung oder als Alleinstehende). Bei mir selbst und bei meinen Klienten erlebe ich es momentan als besonders wichtig, dass wir uns gute Strukturen schaffen, wie wir unser Leben gestalten möchten, und dass wir eine gute Selbstfürsorge entwickeln.

Bei der Selbstfürsorge – oder auch dem Begriff Selbstsorge – geht es übrigens nicht allein darum, wie man für sich selbst am besten sorgt. Vielmehr schwingt darin die Fähigkeit mit, sich auf veränderte Bedingungen einzustellen, aus Herausforderungen zu lernen – und sein Ich bestmöglich zu entfalten, so dass es einem selbst und der Gemeinschaft mit anderen Menschen bestmöglich dient. Selbstfürsorge kann also als eine Verpflichtung mir selbst und anderen gegenüber verstanden werden – und ist keineswegs egoistisch.

Wie aber sieht gute Selbstfürsorge nun aus? Als ich begonnen habe, mich mit dem Thema Selbstfürsorge zu beschäftigen, hat mir ein Abschnitt aus dem Buch „Spirituell arbeiten“ von Friedrich Assländer und Anselm Grün (Münsterschwarzach 2010) weitergeholfen. Einige Aspekte daraus – und eigene Gedanken – möchte ich in diesem Blogartikel gern vorstellen:

1. Lernen, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten. Momentan verschieben sich gerade Prioritäten; was gestern noch wichtig war, ist heute weniger aktuell, dafür rücken andere Dinge in den Fokus. Bei allem was geschieht, nehmen Sie sich Zeit, um innezuhalten und sich zu fragen, was Sie jetzt gerade brauchen. Lernen Sie, Ihre innere Stimme zu hören und ihr zu folgen.

2. Was nährt mich wirklich? Momentan ist auch wichtig, auf gute Ernährung zu achten. Regelmäßiges Essen, das mir Kraft gibt und mich stärkt, tut gut und gibt eine gute Basis. Das kann ein Lieblingsessen sein, ein neues Rezept mit viel buntem Gemüse oder das alte Rezept von der Oma. Fragen Sie sich auch mal, was Sie in Ihrem Leben darüber hinaus besonders nährt.

3. In Bewegung sein. Für mich ist Bewegung eine meiner wichtigsten Lebenszutaten für Zufriedenheit und Wohlbefinden. Jede Bewegung ist erlaubt; bei mir sind es momentan vor allem Spazierengehen, Yoga, Qi Gong, moderates Joggen. Auch Bewegung im Alltag ist damit gemeint, wie Treppensteigen oder zu Fuß nach Hause laufen. Es ist weniger wichtig, welche Art der Bewegung Sie wählen, als dass es Ihnen Freude macht.

4. Für Ruhepausen, Erholungsphasen und Schlaf sorgen. Dieser Punkt braucht wenig Erklärung… Genauso wie regelmäßige Bewegung brauchen wir regelmäßige Pausen und Regenerationsphasen. Statt bei Herausforderungen und Stresssituationen mit Hyperaktivität zu reagieren, fragen Sie sich, wie viele Ruhephasen Sie sich momentan erlauben und nehmen Sie sich Zeit, um zwischendurch einfach mal nichts zu tun.

5. Für Entspannung sorgen. Man könnte meinen, dass dieser Impuls schon mit dem vorherigen Punkt abgedeckt ist – stimmt nicht! Entspannung meint hier, dass Sie für einen regelmäßigen aktiven Ausgleich sorgen. Das kann eine Entspannungstechnik sein, die Sie regelmäßig anwenden, tägliches Yoga, Tai Chi, Qi Gong oder eine andere Übung, die Ihnen hilft, Körper und Seele zu entspannen.

6.  Humor/Lachen! Für die persönliche Psychohygiene (hier gemeint als Erhaltung des psychischen und geistigen Wohlbefindens) ist Humor eine unabdingbare Eigenschaft. Lassen Sie sich das Lachen und den Humor nicht verbieten, auch wenn die äußeren Umstände gerade eher stressvoll und belastend sind. Humor befreit, entspannt und wirkt angstreduzierend – braucht es noch mehr Gründe, um sich seinen Humor zu bewahren? Wäre doch gelacht!

7. Was waren meine Highlights heute? Eine gute Methode, um besonders in schwierigen Zeiten wahrzunehmen, was auch an Gutem/Ressourcen vorhanden ist – und um die eigene Resilienz zu stärken – ist das Anerkennungs-Tagebuch. Notieren Sie täglich (abends) drei Dinge, die heute gut waren, mit denen Sie zufrieden sind. Auch an den schwärzesten Tagen finden sich noch drei kleine oder große Dinge, die in Ordnung oder sogar schön waren. Sammeln Sie sie.

Freiraum schaffen – in stressigen Zeiten

Vielleicht geht es Ihnen in der Zeit am Jahresende auch so, dass Sie sich darauf freuen, endlich weniger zu tun und mehr Ruhe zu genießen – und gleichzeitig gibt es noch viele Aufgaben, die zu erledigen sind, und die Zeit scheint sich dafür zu verkürzen… Zur äußeren Hektik kommen möglicherweise noch innerlich Sorgen oder Belastungen, die sich nicht so leicht abschütteln lassen. Obwohl wir uns fest vorgenommen haben, ruhiger zu werden, tauchen vermehrt Gedanken und Emotionen auf, die uns stressen.

Auch diese Gedanken und Gefühle sind okay und dürfen da sein. Vielleicht erfordert es Mut, sie sich zu erlauben und wenn möglich anzunehmen; zugleich ist es notwendig, dass wir auch unsere negativen Gefühle fühlen können – einfach abschalten lassen sie sich meistens sowieso nicht. Wenn wir traurig sind, sind wir traurig, wenn wir uns gestresst fühlen, hilft es nicht, wenn wir es unterdrücken. Stattdessen können wir einen Weg finden, etwas mehr inneren Abstand zu unseren Gedanken und Gefühlen einzunehmen – gerade soviel, dass wir sie wahrnehmen, ohne dass wir ganz von ihnen vereinnahmt werden.

Diese Erfahrung haben Sie im Alltag wahrscheinlich schon gemacht: dass sich Situationen und Gefühle mit etwas Abstand leichter ertragen lassen und es aus der Distanz leichter fällt, sie zu betrachten und möglicherweise etwas zu verändern. Im Folgenden möchte ich Ihnen eine Übung vorstellen, mit der sie einen Freiraum zwischen sich und Ihre stressigen Gedanken und Gefühlen schaffen können und sich weniger von ihnen beherrschen lassen. Sie gewinnen dadurch wieder mehr Raum für positive Erfahrungen, wie Glück und Entspannung.

1. Eine entspannte Haltung einnehmen

Machen Sie es sich bequem und nehmen Sie eine entspannte Haltung im Sitzen oder Liegen ein. Richten Sie es sich so ein, wie es für Sie gemütlich ist und sorgen Sie dafür, dass Sie in den nächsten 10-15 Min nicht gestört werden. Schließen Sie die Augen, wenn es Ihnen hilft zu entspannen. Sie können jetzt auf Ihre Art für Entspannung sorgen, beispielsweise indem Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit schrittweise durch Ihren Körper gehen und die einzelnen Körperteile wahrnehmen.

2. Die eigenen Gedanken und Gefühle wahrnehmen

Beginnen Sie damit, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit nach innen richten und wahrnehmen, was gerade da ist. Sie können sich fragen: Was beschäftigt mich gerade? Welche Gefühle nehme ich im Augenblick wahr? Es bedeutet, alle Gedanken und Gefühle, die auftauchen, erst einmal wahrzunehmen; im Sinne von: „Aha, da ist dieser Gedanke…“ oder „Gerade nehmen ich wahr, dass ich… fühle.“ Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit so nacheinander auf jeweils einen Gedanken oder ein Gefühl, das Sie bemerken, und dann wieder auf den nächsten.

3. Anerkennen

Wenn Sie einen bestimmten Gedanken oder ein Gefühl bemerken, nehmen Sie sich die Zeit, das Problem oder Gefühl anzuerkennen. Sie können beispielsweise einen Moment mit freundlicher Aufmerksamkeit dabei verweilen; oder vielleicht genügt auch ein kurzes inneres Nicken, das Anerkennung signalisiert.

4. Einen geeigneten Ort/eine Verpackung dafür finden

Nachdem Sie den Gedanken oder das Gefühl auf diese Weise anerkannt haben, finden Sie in Ihrer Vorstellung eine geeignete Verpackung dafür. Das kann zum Beispiel eine Kiste sein, eine Box auf Ihrem Schreibtisch, ein Schmuckkästchen, eine reich verzierte Truhe oder ein Schrank – erlaubt ist, was Ihnen gefällt und was ein geeignetes Behältnis für das Problem/Gefühl sein kann. Überlegen Sie sich darüber hinaus einen Ort, an dem das Gefühl/die Sorge gut aufgehoben wäre. In welchem Abstand sollte es aufbewahrt werden?

  • Susanne Kersig, Freiraum finden bei Stress und Belastung. Das praktische Übungsbuch auf Basis von Focusing und Achtsamkeit, Freiburg 2014.

Emotionale Kompetenzen IV: Freude als Weg

Freude ist eins der positivsten Gefühle, die wir kennen, und trotzdem gehört sie zu den am wenigsten beachteten bzw. erforschten Basis-Emotionen. Einerseits wünschen wir uns häufig mehr davon: mehr Freude und Glücksmomente in unserem Leben; andererseits sind wir scheinbar ständig in einem Mangel – oder sind es einfach nicht gewohnt, unsere Aufmerksamkeit auf die flüchtigen Momente von Glück, Zufriedenheit und Freude zu richten. Unbewusst konzentrieren wir uns oft mehr auf das, was uns daran hindert, Freude zu empfinden und glücklich zu sein.

Dieser Blog-Artikel möchte Sie inspirieren, Ihren Fokus wieder mehr auf die Freude zu richten. Das bedeutet gleichzeitig nicht, Gefühle von Traurigkeit oder Leid zu überdecken; sie sind genauso wichtig. In unserer Freude steckt jedoch eine starke Ressource, die uns hilft, leidvolle Momente besser durchzustehen und uns ein gutes Leben aufzubauen. Die Möglichkeit, Freude zu empfinden, ist immer gleichzeitig mit allem anderen da; sie ist genauso in uns angelegt, wie die Möglichkeit Angst, Trauer oder Wut zu empfinden. Vielleicht kennen Sie solche Momente, in denen die Freude völlig unvermittelt auftaucht, nachdem Sie gerade noch eher wütend oder traurig waren…

Was ist Freude und welche Funktion hat sie?

Freude ist eine Reaktion darauf, dass wir ein für uns wünschenswertes Ziel erreicht haben, dass wir uns in einer vertrauten und sicheren Umgebung befinden, und sie zeigt sich in einem körperlich entspannten – oder freudig angeregten – Zustand. Sie lässt sich (zeitlich) einteilen in:

– kürzere Freuden- und Glücksmomente

– länger anhaltende Freude und Stolz über Lebensereignisse und persönliche Erfolge

– Lebensfreude als innere Einstellung

Evolutionär betrachtet war die Freude in früheren Zeiten nicht nur dazu da, um uns angenehme Gefühle zu verschaffen, sondern sie war ebenso wie die „negativen“ Gefühle, Angst, Wut und Trauer, auf unser Überleben ausgerichtet; beispielsweise erfahrbar anhand der Freude über die Geburt eines Kindes oder den Sieg über einen Gegner. Darüber hinaus förderte sie die sozialen Bindungen, die Bildung von Gemeinschaft und die allmähliche Entwicklung einer Kultur. Positive Gefühle wie Freude, Lachen, Lieben, Lust und Zufriedenheit erwiesen sich als evolutionär von Vorteil und waren äußerst attraktiv, wenn es darum ging, einen Partner zu wählen, auf die Zukunft gerichtet zu planen und etwas aufzubauen.

Diesen Effekt hat die Freude bis heute: Sie stärkt unsere Bindungen und erweitert zugleich unsere Denk- und Handlungsmöglichkeiten. Optimismus und Freude wirken anziehend auf uns und tragen dazu bei, dass bestehende Beziehungen gefestigt werden und neue entstehen. Gleichzeitig sind wir offener, weltzugewandter und lernen leichter, wenn wir Freude empfinden. Sie bewirkt eine Aktivierung unserer Geistesaktivitäten: Wir sind kreativer und gehen spielerischer an Aufgaben und Herausforderungen heran; wir finden eher zu neuen Lösungen, wenn wir in einem entspannt-freudigen Zustand sind.

Freude als Weg

Wenn wir davon ausgehen, dass alle Emotionen, positive wie negative, eine Signalwirkung auf uns haben, dann zeigt unsere Freude uns am ehesten an, wo wir gerade richtig sind, wonach unser Innerstes sich sehnt und in welche Richtung es für uns geht. Statt sich daran zu orientieren, was von außen gesehen sinnvoll erscheint und was wir selbst und andere von uns erwarten, können wir uns für die Freude als Weg entscheiden. Es ist gleichbedeutend damit, unserer inneren Stimme zu vertrauen und ihr zu folgen. Unsere Freude gibt uns einen möglichen Zugang dazu und zeigt uns, welche Ressourcen wir bereits besitzen und in unserem Leben ausbauen sollten.

Am besten finden wir selbst heraus, was uns freut und glücklich macht: ob wir uns beruflich eher Beständigkeit und Routine wünschen oder ob wir uns lieber mit einer verrückten Idee selbständig machen, ob wir einen Partner wählen, der die gleichen Vorstellungen hat und gut in unsere Familie passt, oder ob wir uns für einen Partner entscheiden, der uns mit seinem besonderen Humor zum Lachen bringt; ob wir am liebsten Kleider tragen, die aktuell modern sind oder solche, die uns einfach selbst viel Spaß machen… Es gibt viele Möglichkeiten und wir können unserem eigenen, individuellen Weg folgen.

– von der Angst, Freude zu empfinden

Trotzdem kann es passieren, dass wir uns selbst die Freude nicht erlauben. Manchmal erscheint es leichter, an negativen Vorstellungen festzuhalten und damit das Schlimmste schon vorwegzunehmen. Wir feiern beispielsweise unsere Erfolge nicht oder erlauben uns selbst nicht, optimistisch zu sein und auszuhalten, was uns Freude macht. Damit kann die Angst verbunden sein, dass das was uns freut nicht von Dauer sein wird oder wir das Unglück selbst einladen, wenn wir uns erlauben, uns zu freuen. Freude kann eine sehr intensive Erfahrung sein, die uns verletzbar macht. Wenn wir das tun, was uns Freude macht, steckt darin oft auch ein großes Potential von uns – und es kann schwer sein, diese Größe auszuhalten.

Wie wir mehr Freude in unser Leben bringen können

Wenn wir es dabei nicht belassen wollen, haben wir die Möglichkeit, unsere Ängste wahrzunehmen und anzuerkennen – uns aber bewusst für unsere Freude zu entscheiden. Meistens hilft es, wenn wir kurz innehalten und uns fragen, welches Gefühl gerade überwiegt – Angst oder Freude – und uns fragen, welche Richtung wir wirklich einschlagen wollen. Es hilft uns dabei, wieder frei zu werden.

Darüber hinaus sind Möglichkeiten, mehr Freude in unser Leben zu bringen:

Dankbarkeit und Optimismus: Dankbarkeit und Freude gehören eng zusammen, beispielsweise, wenn wir anerkennen, was bereits alles in unserem Leben ist, für das wir dankbar sein können (eine Möglichkeit: ein Dankbarkeits-Tagebuch!).

soziale Beziehungen pflegen: Freude ist ein Gefühl, das sich vermehrt, wenn wir es teilen… Unsere Beziehungen (Freunde, Familie, Partnerschaften, Kollegen etc.) sind eine unserer größten Quellen für Glück und Freude. Geben Sie Ihrer Freude Ausdruck und sagen Sie es Menschen in Ihrer Umgebung, wenn Sie sie mögen, oder investieren Sie in neue Beziehungen.

Stress, Schwierigkeiten und Traumata bewältigen: Manchmal geht es auch darum, uns unseren Problemen zu stellen und neue Bewältigungsstrategien zu erlernen, um Freude wieder möglich zu machen. Dabei ist besonders wichtig, Mitgefühl für sich selbst zu entwickeln. Vielleicht entdecken wir in den schwierigen Situationen sogar positive Aspekte und Entwicklungsschritte für unser Leben.

Emotionale Kompetenzen III: Die Traurigkeit wertschätzen

Nach meiner Wahrnehmung ist jeder Trauerprozess individuell und der Verlauf kann nicht vorhergesagt werden. Jeder Mensch trauert auf seine Weise: Der eine weint viel und sucht den Trost von Freunden und Familienmitgliedern, ein anderer zieht sich zurück und braucht Zeit, um seine Erfahrungen zu verarbeiten, wieder ein anderer sucht Unterstützung bei nur einer Person, der er oder sie vertraut… Das Trauern kann laut oder eher leise passieren; es ist immer ein inwendiger Prozess, kann aber auch im Außen sichtbar sein und viele Ausdrucksformen annehmen. Keine Art zu trauern ist verkehrt, wichtig ist jedoch aufmerksam zu bleiben und zu bemerken, welche Form die Trauer annimmt.

Welche Funktion hat Trauer?

Sicher gibt es auch unterschiedliche Grade von Traurigkeit und Trauer. Ein Kind kann intensiv traurig darüber sein, sein Spielzeug verloren zu haben, eine erwachsene Person ist vielleicht traurig, weil sie gerade eine kritische Bemerkung über sich gehört hat, oder jemand trauert über den Verlust eines geliebten Menschen oder des Arbeitsplatzes. Die ursprüngliche Funktion der Traurigkeit/Trauer ist, einen Verlust bzw. eine Verletzung anzuzeigen. Ebenso steckt darin eine grundlegende Möglichkeit, wie wir diese Erfahrung verarbeiten können, wenn das Trauern (auf unsere eigene Weise) sein darf. Statt Angst davor zu haben und die Traurigkeit zu unterdrücken, kann die Trauer als eine gesunde und sinnvolle Reaktion verstanden werden.

Trauer kann eine sinnvolle Basisreaktionsmöglichkeit sein, mit der wir der Verletzung Ausdruck geben, uns selbst den Raum und die Zeit nehmen, damit umzugehen, womöglich sogar neue Kräfte generieren, die uns helfen, die veränderte Lebenssituation zu organisieren, und sie unterstützt uns darin, weitere Gefühle, wie Frust und Zorn zu erleben. Auch in der Trauer (wie schon in der Wut, der Angst) steckt viel Energie. Ein wesentlicher Faktor ist die Zeit, die wir uns selbst geben, um die Trauer erleben zu dürfen. Auch hier gibt es kein einheitliches Maß, das für den Trauerprozess bei allen Menschen gleich wäre und es hängt ebenso von dem auslösenden Lebensereignis ab. Hält die Trauer über einen Verlust einen längeren Zeitraum an und gelingt keine ausreichende Trauerverarbeitung, kann sich möglicherweise eine Anpassungsstörung (Anpassung an die veränderten Lebensumstände) entwickeln.

Unterschiede zwischen Trauer und Depression

In diesem Blogbeitrag schreibe ich hauptsächlich über die Basis-Emotion Trauer, die es als unmittelbare menschliche Reaktion auftreten kann. Trotzdem ist ein kurzer Blick auf die Unterschiede zwischen Traurigkeit und Depression sinnvoll. Die Depression beschreibt einen Zustand der deutlich gedrückten Stimmungslage und Antriebslosigkeit, der über mindestens zwei Wochen andauert. Sie unterscheidet sich wesentlich von einer Trauerreaktion, da bei einer Depression gerade das Gefühl der Gefühllosigkeit, also das Unvermögen, Gefühle wie Trauer, Freude, Mitleid, Liebe oder andere, zu empfinden, auftritt. An Depression erkrankte Menschen sagen häufiger aus, dass sie sich als wie versteinert, gleichgültig oder leer empfinden. Um genauer zwischen Trauer und Depression zu unterscheiden und um herauszufinden, ob ein Mensch an Depressionen erkrankt ist, ist es notwendig, einen Psychotherapeuten oder Arzt aufzusuchen.

Übrigens können in einem Trauerprozess auch die vier Phasen der Trauerbewältigung auftauchen, die von der Schweizer Psychologin Verena Kast beschrieben werden (1. Leugnen, 2. aufbrechende Emotionen, 3. Suchen und Sich-Trennen, 4. Neuer Selbst- und Weltbezug). Es ist aber keineswegs gesagt, dass sie genau so und immer in dieser Reihenfolge ablaufen.

Wie geht man mit der Trauer sinnvoll um?

Wie aber reagiert man selbst am besten auf Gefühle der Trauer? Trauer kann sich anfühlen wie eine Welle, die über einen hineinbricht, oder wie ein Meer von Traurigkeit, das schier endlos erscheint… Sie kann ohne Vorwarnung auftreten oder einen wiederholt begleiten. Das Ausmaß der Traurigkeit kann einem Angst machen; obwohl sie eine lebenswichtige Funktion hat, fällt es oft schwer, das Gefühl zuzulassen. Wie auch die Wut wird die Trauer zu den „negativen“ Gefühlen gezählt, die gesellschaftlich nicht anerkannt sind. Deshalb spielt sich Trauer häufig leise und im Verborgenen ab; niemand soll mitbekommen, welche überwältigenden Gefühle einen gerade gefangen nehmen. Nicht zu jeder Zeit und Kultur ist dieser Umgang mit Trauer jedoch gleich; in manchen Epochen und Kulturkreisen gehören beispielsweise lautes Weinen und Schreien zur Trauerklage um einen Verstorbenen.

Im besten Fall darf die Traurigkeit da sein; ob sie sich nun in Weinen äußert, in langen Gesprächen, Schweigen, im zeitweisen Rückzug, in langen Spaziergängen oder… Wenn wir bemerken, dass eine Traurigkeit in uns aufkommt, ist es gut, ihr mit einer freundlichen, aufmerksamen Haltung zu begegnen; ähnlich einem „Aha, du bist auch da.“ Statt sie direkt abschütteln zu wollen, können wir uns vielleicht entscheiden, sie für eine kurze Zeit anwesend sein zu lassen. Dabei hilft, wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, dass sie auch etwas für uns (statt gegen uns) will: Sie hilft uns, den Verlust besser zu verarbeiten, sie reinigt uns, sie hilft uns vielleicht dabei, besser loszulassen, und sie erhält in uns eine Weichheit. Wenn wir es schaffen, uns eine Zeitlang auf die Traurigkeit einzulassen, kann das eine enorm befreiende und verändernde Wirkung haben.

Die Traurigkeit wertschätzen

Emotionale Kompetenzen II: Wohin mit der Wut?

„Ich bin so wütend, dass ich laut schreien könnte“, „Vor lauter Wut sehe ich dann nur noch rot“, „Wenn die Wut in mir hochsteigt, fühlt es sich an, als würde gleich ein Vulkan ausbrechen“. Solche und ähnliche Reaktionen kennen viele von uns – und nicht selten haben wir Angst davor und versuchen in solchen Momenten, die Wut herunter zu schlucken und zu unterdrücken. Wir befürchten, dass etwas Katastrophales passieren würde, wenn wir unserer Wut Ausdruck verleihen. In unserem Kulturkreis zählt die Wut zu den „negativen“ Emotionen, die gesellschaftlich weniger erlaubt sind.

Dabei hat die Wut – ebenso wie die Angst – eine wichtige Signalfunktion, die uns unterstützen soll. Die Wut zeigt uns an, dass unsere Grenzen überschritten werden. Jemand hat etwas gesagt, das uns verletzt – und wir reagieren wütend. Eine Person kommt uns zu nahe und wirkt bedrohlich auf uns – sofort werden wir wütend und verteidigen unseren Raum. Aus der Perspektive unserer steinzeitlichen Vorfahren betrachtet, bedeutet es nichts anderes, als das Signal, dass jemand von außen unser Territorium angreift und wir gut daran tun, uns davor zu schützen. Und noch eine Funktion hat die Wut: Wir setzen sie ein, um für unsere Bedürfnisse einzustehen.

Trotzdem gilt auch hier, dass wir nicht jedes Mal vor Wut platzen können oder auf unser Gegenüber losgehen sollten, wenn jemand unseren Grenzen zu nahe kommt. Stattdessen hilft es uns, wenn wir Wege finden, unsere Wut anzuerkennen und einen guten Umgang mit ihr zu finden. Ebenso wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir nicht nur lernen, unsere Wut zu regulieren und sie nicht in allen Situationen ungefiltert herauszulassen – sondern dass wir zudem lernen, wie wir unsere Wut angemessen ausdrücken können. Beide Aspekte sind angesprochen, wenn es um emotionale Kompetenz geht. Die Hauptfragen lauten also: Wohin mit meiner Wut? Und: Wie zeige ich meine Wut angemessen in Situationen, in denen es wichtig ist?

Wut hat ebenso eine konstruktive, schöpferische Seite

Wut ist eine sehr nützliche und sogar notwendige Energie, wenn wir uns in einer Situation behaupten müssen, beispielsweise in Diskussionen oder wenn sich jemand uns gegenüber ungerecht verhält etc. Dann kommt es wieder darauf an, die Wut in einem für uns guten Maß zu zeigen; das heißt, dass wir nicht überschäumen vor Wut, sie uns aber auch nicht generell verbieten und uns wiederholt anderen unterwerfen. Wut als konstruktive Kraft kann sich beispielsweise in der Leidenschaft für eine Sache zeigen, im Einsatz für Gerechtigkeit, im Dranbleiben an einer wichtigen Aufgabe, in der Kraft und in dem Mut etwas zu Verändern. Dafür braucht es oft auch eine gewisse Wut.

Oft wird befürchtet, die Wut könne schnell in Aggression umschlagen; wir könnten die Kontrolle verlieren und dadurch uns selbst und anderen schaden. Bei einer deutlich überhöhten Dosis stimmt das auch – allerdings gilt das für fast jedes Gefühl und jeden Zustand. Aggressivität hat sowohl eine zerstörerische, als auch eine schöpferische Seite. Das bedeutet, wir können Wut ebenso wie Aggressivität sowohl einsetzen, um damit etwas Neues zu schaffen, als auch dafür, etwas zu zerstören. Im besten Fall entsteht daraus neues Wachstum und Lebendigkeit.

Und noch ein Wort zur unterschiedlichen Bewertung von Wut bei Männern und Frauen: Während Wut bei Jungen und Männern weitaus mehr anerkannt und akzeptiert wird, unterdrücken Frauen ihre Wut sehr viel häufiger und sie wird bei ihnen weitaus seltener akzeptiert. Frauen haben oft viel weniger Wege erlernt, um ihre Wut herauszulassen und zu zeigen, und wenn sie es tun, werden sie häufig dafür kritisiert.

Welche Möglichkeiten gibt es nun aber, um unsere Wut angemessen umzugehen bzw. sie zu zeigen?

Für einen angemessenen Umgang mit Wut

1. Der erste Schritt ist immer, innezuhalten und die Wut wahrzunehmen. Zugegeben ist das beim Umgang mit Wut oft leichter gesagt als getan, weil die Wut oft auch plötzlich, als schnelle Reaktion auftaucht. Gerade dann kann es helfen, wenn Sie ein gutes Frühwarnsystem entwickeln, indem Sie beobachten, welche ersten Anzeichen bei Ihnen die Wut ankündigen (Herzklopfen, Enge im Hals, geballte Hände o.ä.). Manchmal genügt es schon, die Wut zu bemerken und sozusagen zu begrüßen: „Aha, etwas in mir ist wütend.“

2. Ähnlich wie bei der Angst hilft es auch bei der Wut, wenn Sie bemerken, dass ein Teil von Ihnen zwar wütend ist (Partialisieren), sich aber bewusst sind, dass Sie gleichzeitig noch andere Seiten und Eigenschaften besitzen, die Ihnen vielleicht sogar helfen, in der Situation gut reagieren zu können. Wenn Sie Ihre Wut nur als einen Teil von sich wahrnehmen, machen Sie sich selbst damit größer als das Gefühl. Vielleicht hat Ihnen ja zum Beispiel Ihre humorvolle Seite schon oft geholfen, in der Situation zu entspannen.

3. Mit dem Innehalten kann auch eine weitere Möglichkeit im Umgang mit der Wut verbunden werden: Unterbrechen Sie Ihr übliches Reiz-Reaktions-Schema! Sobald Sie merken, dass die Wut in Ihnen hochsteigt, legen Sie bewusst eine Pause ein und steigen Sie aus der Situation aus, zum Beispiel indem Sie das Gespräch vertagen, die Situation ganz verlassen oder indem Sie sich bewusst dafür entscheiden, etwa anderes zu tun. Gehen Sie spazieren oder zählen Sie langsam bis zehn! Alles, was Sie entspannt und Ihre übliche Reaktion unterbricht, ist erlaubt.

4. Wertschätzen Sie Ihre Wut! Oben im Text habe ich erläutert, dass die Wut immer auch eine Funktion hat, die Sie unterstützt bzw. die Ihnen etwas Gutes will. Wenn Sie Ihre Wut in einem entspannten Zustand betrachten: Gibt es etwas daran, das positiv ist und das Ihnen in einigen Situationen auch geholfen hat? Gibt es auch etwas, das Ihnen an Ihrer Wut gefällt, das Sie vielleicht sogar mögen? Falls Sie etwas finden, wertschätzen Sie es und freunden Sie sich mit diesen Aspekten an.

5. Lokalisieren Sie die Wut in Ihrem Körper. Zur Wahrnehmung und zum Anerkennen der Wut kann auch gehören, dass Sie das Gefühl zunächst einmal in Ihrem Körper selbst fühlen. Wo im Körper spüren Sie die Wut? Welche Größe hat sie in diesem Bereich? Welche Qualität besitzt sie? Hat die Wut eine Farbe? Indem Sie die Wut körperlich genauer eingrenzen und beschreiben, erforschen sie sie auch und machen sich mit ihr vertraut. Wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Wut richten, findet manchmal schon eine kleine Veränderung statt.

6. Die Wut kanalisieren. In der Wut steckt auch eine starke Energie, die Sie für sich nutzen können, indem Sie sie umlenken. Statt sich auf das Gegenüber zu konzentrieren und sich maßlos über die andere Person aufzuregen oder sie sogar zu attackieren, entscheiden Sie sich bewusst, die Energie für andere Dinge einzusetzen. Sie können zum Beispiel die Energie in Ihren Lieblingssport einbringen, in den Frühjahrsputz Ihrer Wohnung oder kämpfen Sie leidenschaftlich für eine gerechte Sache – Hauptsache, die Energie fließt dahin, wo es für Sie Sinn macht und sich gut anfühlt.

7. Eine der einfachsten und wirksamsten Methoden, damit die Wut sich entladen kann, ist Bewegung. In Bewegung und bei allen möglichen Sportarten lassen sich Stress und eben auch Wut sehr gut abbauen; Sie können Sie sogar gezielt nutzen, um mehr Kraft oder Schnelligkeit zu entwickeln und setzen dabei neue Energie frei. Meistens entstehen im Anschluss daran verstärkt positive Gefühle und Sie fühlen sich insgesamt wohler. Meine Lieblingsmethode ist das Laufen, aber auch Kickboxen, Schwimmen oder Tanzen sind erlaubt. 😉

8. Sport ist eine Methode, um Entspannung zu erreichen – und im entspannten Zustand sind Sie selten wütend. Weitere Möglichkeiten, um im richtigen Moment Entspannung abrufen zu können, können unter anderem sein: Autogenes Training, Tai Chi, Meditation, beruhigende Selbstgespräche oder… Finden Sie Ihre eigene Methode, mit der Sie bei Herausforderungen am besten entspannen können!

Emotionale Kompetenzen I: Umgang mit Angst

Das Ziel im Leben ist es, all unser Lachen zu lachen und all unsere Tränen zu weinen. Was auch immer sich uns offenbart, es ist das Leben, das sich darin zeigt, und es ist immer ein Geschenk, sich damit zu verbinden. (Marshall B. Rosenberg)

Kein Thema betrifft den Menschen so unmittelbar wie der Umgang mit den eigenen Gefühlen. Von einer lähmenden Angst oder Furcht, zu ohnmächtiger Wut, einem Meer der Traurigkeit bis hin zu übersprudelnder Freude… erleben wir von unserer Kindheit an eine große Bandbreite unterschiedlicher Emotionen und Gefühle. Nicht immer fällt es uns leicht, unsere Gefühle anzunehmen, sie offen zu zeigen oder auch in angemessener Weise zu regulieren. Das Erleben intensiver Gefühle kann uns Angst machen und einige Emotionen sind gesellschaftlich eher erlaubt als andere.

Gefühle einfach wegzudrücken kann nicht der beste Weg sein, mit ihnen umzugehen; andererseits können wir sie auch nicht ständig ungefiltert zeigen. In unserer Kindheit haben wir meist einen bestimmten Umgang mit Gefühlen erlernt, der uns auch später noch erhalten bleibt – der aber nicht immer unbedingt förderlich für uns ist. Mehr Emotionale Intelligenz (und Kompetenz) zu entwickeln, bedeutet einen Umgang mit Emotionen zu finden, der uns mehr unterstützt und die Kraft, die in unseren Gefühlen steckt, besser freisetzt.

Ich möchte dem konstruktiven Umgang mit Gefühlen und der Entwicklung von emotionaler Kompetenz eine eigene Blog-Serie widmen, die sich mit den Grundformen der Gefühle und ihrer jeweiligen Funktion beschäftigt, sowie mit der Frage nach einem angemessenen Umgang mit den Emotionen. Die Aufmerksamkeit richtet sich dabei auf die Basis-Emotionen Angst, Trauer, Wut, und Freude, die zu den big six gehören, die 1872 erstmals von Charles Darwin hervorgehoben und erforscht wurden. Die Artikel zielen dabei nicht auf Vollständigkeit, sondern sind als einführende Gedanken zu verstehen.

Welche Funktion hat die Angst?

Die erste Funktion der Angst ist, uns in Alarmbereitschaft zu versetzen. Steinzeitlich betrachtet war es für unser Überleben wichtig, dass wir angemessen und schnell auf eine drohende Gefahr reagieren konnten. Das heißt in frühen Zeiten mussten wir, wenn ein Tiger auf uns zukam blitzschnell reagieren, um nicht gefressen zu werden. Die typischen Reaktionen waren fight, freeze or flight; wir mussten in Sekundenschnelle entscheiden, welche davon wir wählen, ob es die beste Lösung für uns war, zu kämpfen, zu erstarren (uns zu unterwerfen) oder zu flüchten.

Zwar leben wir nicht mehr in der Steinzeit, dennoch haben sich diese frühen Überlebensmuster tief in uns eingegraben und fast jeder kennt den Impuls, in einer Situation, die uns ängstigt, zu fliehen oder in den Angriff überzugehen. Bis heute sichern wir damit unser Überleben bzw. erkennen und meistern wir damit für uns bedrohlich erscheinende Situationen. Schwierig wird es nur, wenn wir diese Reaktionsmuster immer wieder in Situationen anwenden, die wir als bedrohlich für uns wahrnehmen, die in Wirklichkeit aber für uns händelbar sind; wenn wir zum Beispiel immer flüchten, wenn es für uns schwierig wird. Nicht immer stehen wir vor einem vermeintlichen Tiger.

Grundformen der Angst

In einem früheren Beitrag habe ich bereits auf die vier Grundformen der Angst nach Fritz Riemann hingewiesen, die ich hier nur verkürzt benennen möchte. Jeder Mensch hat diesem Modell zufolge die Tendenz zu einer dieser Grundängste, und es gehört zu seiner Lebensaufgabe, einen guten Umgang damit zu erlernen. Diese vier Grundformen sind: die Angst vor der Hingabe (entspricht der Existenzangst), die Angst vor der Selbstwerdung (oder Trennungsangst), die Angst vor Veränderung (Angst vor Schuld und Strafe) und die Angst vor der Notwendigkeit (Angst vor Minderwertigkeit).

Dazwischen gibt es eine ganze Reihe individueller Ängste, die auf den jeweiligen Erlebenskontext bezogen sind – wie zum Beispiel, die Angst vor dem Scheitern, die Angst vor der Höhe, Angst davor, sich zu blamieren – die sich jedoch häufig auf eine der vier Grundformen der Angst zurückbeziehen lassen. Spannend ist, diese Formen der Angst nicht als Fehler oder Schwäche anzusehen, sondern als Möglichkeit zur Entwicklung zu begreifen. Die Ängste müssen auch keineswegs pathologisch sein! Dagegen kann es sehr aufschlussreich sein, sich selbst zu fragen, zu welcher Angst man häufig tendiert.

Mit der Angst, statt dagegen

Wie aber lässt sich der Angst gut begegnen? Wie kann sie angemessen gefühlt und womöglich auch gezeigt werden? Sicher hat jeder schon seine eigenen Strategien im Umgang mit Angst entwickelt und dabei hoffentlich erfahren, dass die Angst dadurch kleiner und handhabbarer geworden ist. Bestimmte Schritte helfen besonders gut im Umgang mit der Angst:

Erste Hilfe bei der Bewältigung von Angst ist oft, die Angst in Teilschritte zu zerlegen, sowie sie als Teil von mir statt als Ganzes, mit dem ich mich identifiziere, wahrzunehmen (zu partialisieren). Meist gelingt es leichter, zunächst einen kleinen Schritt in Richtung dessen zu machen, was mir Angst macht, statt gleich komplett etwas zu tun, vor dem ich Angst habe. Auch die Erkenntnis, dass ich nicht meine Angst bin, sondern nur etwas in mir gerade ängstlich ist, ich selbst aber größer als dieser Teil bin, hilft, die Angst auf ein geringeres Maß zu schrumpfen.

Im Prinzip geht es im ersten Schritt immer darum die Angst einfach wahrzunehmen; mir bewusst zu machen, dass ich gerade Angst habe. Im besten Fall kann ich es freundlich wahrnehmen; es ist auch okay, wenn ich gerade Angst habe. Wenn ich meine Angst wahrnehme, kann ich sie weiter konkretisieren: Wie groß ist die Angst? Fühle ich sie einen bestimmten Ort im Körper? Wie fühle ich meine Angst? Hat sie eine bestimmte Farbe? …

Vielleicht erinnere ich mich an frühere Situationen, in denen ich ängstlich war. Wie habe ich damals reagiert? Habe ich meine Angst schon einmal erfolgreich gemeistert? Und wie habe ich es damals geschafft? Wie hat sich das damals angefühlt? Erfolgserlebnisse und geleistete Angstbewältigung helfen ebenfalls, mit neuen, herausfordernden Situationen und Ängsten umzugehen.

Manchmal erinnere ich mich aber auch an Erfahrungen, in denen es schlecht lieft; in denen ich zum Beispiel weniger gut mit meiner Angst klargekommen bin. Auch dann kann ich mich fragen: Wo lief es schlecht? Wie habe ich unbewusst reagiert? Aus solchen Situationen können wir für den Umgang mit der Angst heute etwas lernen: Welche Verhaltensweisen wären denkbar gewesen?

Möglicherweise bemerke ich dann, dass ich einen neue Bewältigungsstrategien brauche, um die Situation für mich zu verbessern: Es kann sein, dass ich lernen muss, besser Grenzen zu setzen und anderen mitzuteilen, was für mich o.k. und was für mich nicht o.k. ist. Oder ich kann lernen, meine körperliche Reaktion neu zu bewerten: Es für mich anzunehmen, dass ich vor Lampenfieber schwitze, rot werde, wenn ich vor einer Gruppe spreche oder zittere, wenn ich ein bestimmtes Gespräch führe. Das alles ist o.k., weil es mich menschlich (und authentisch) macht.

Kleiner Trick: oft hilft Bewegung, wenn die Angst und meine körperlichen Reaktionen sehr stark sind: ein Spaziergang, mehr Ausdauersport und auch Treppensteigen können akute Angst verringern und uns aus der Erstarrung lösen.

Eine wichtige Frage ist auch: Welche Erwartung (welche Sehnsucht, welches Bedürfnis) steht hinter meinem Gefühl der Angst? Oft steckt in der Angst eine wichtige Botschaft für mich, auf die ich achten sollte. Ich könnte zum Beispiel herausfinden, dass ich mir mehr Respekt oder mehr Schutz wünsche und mir dann überlegen, wie ich dieses Bedürfnis neu erfüllen kann – was ich brauche, um mich in der Situation wohler zu fühlen. Wenn ich das Bedürfnis hinter meiner Angst kenne, kann ich es auch leichter an jemand anderem kommunizieren, der beteiligt ist. 

Den inneren Kritiker neu bewerten

„Schon wieder etwas falsch gemacht! Das lernst du nie. Streng dich mehr an! Andere können das viel besser. Sei doch nicht so ein Angsthase! Du musst mehr Geld verdienen. Sei doch nicht so ein Angeber! Du musst immer freundlich sein. Sei doch…!“ So oder so ähnlich hört sich unser innerer Kritiker in manchen Momenten an; und die Liste kann endlos fortgesetzt werden. Oft ist uns gar nicht bewusst, was wir uns selbst wiederholt erzählen, bis uns irgendwann auffällt, wie streng wir mit uns selbst ins Gericht gehen.

Der „innerer Kritiker“ ist diejenige Instanz in uns, mit der wir ständig uns selbst (und andere) bewerten. Dem inneren Kritiker kann man es nie wirklich recht machen, immer gibt es etwas zu nörgeln, machen wir etwas nicht gut genug oder suchen wir den Fehler bei uns. Es ist möglich, dass uns die Stimme des inneren Kritikers an jemanden erinnert, sei es an einen Elternteil, an eine ungeliebte Tante oder an eine andere autoritäre Person aus unserem Leben. Der innere Kritiker/die innere Kritikerin kann für verschiedene innere Personen stehen und kann sich in unterschiedlichen – negativen und destruktiven – Botschaften zeigen.

Die häufigste Reaktion, wenn wir den inneren Kritiker bemerken, ist, dass wir genervt sind und ihn möglichst schnell loswerden wollen. Vielleicht ärgern wir uns auch über uns selbst, dass wir es nicht besser wissen und kein stärkeres Selbstwertgefühl besitzen. Problematisch daran ist jedoch, dass der innere Kritiker gerade dann immer stärker wird, je mehr wir ihn ablehnen oder gegen ihn kämpfen. Wenn wir versuchen, die innere Stimme zum Schweigen zu bringen, meldet sie sich nur umso lauter – und wir verwenden viel Energie und Aufmerksamkeit darauf, damit gerade das nicht eintritt: ein Teufelskreis.

Was aber ist ein guter Weg, mit dem inneren Kritiker umzugehen?

Den inneren Kritiker identifizieren

Der erste Schritt bleibt es, den inneren Kritiker zu identifizieren. Das gelingt am besten, wenn man beobachtet, in welchen Situationen man besonders kritisch und wertend mit sich umgeht. Welche Bewertungen über sich oder über die Situation gibt man unbewusst ab? Hilfreich sind dazu die folgenden Fragen:

  • Wie spreche ich gerade mit mir selbst (freundlich/streng, liebevoll/kritisch)?
  • Welche Sätze sage ich mir wiederholt selbst in herausfordernden Situationen?
  • In welchen Situationen sage ich innerlich zu mir: „Ich muss…“, Ich sollte…“?
  • Wie lauten die Sätze, die mit „Ich muss…“, „Ich sollte…“ beginnen?
  • Gibt es weitere negative Sätze und Bewertungen, die ich mir wiederholt sage?
  • Habe ich diese Sätze früher schon mal von jemand anderem gehört?

Obwohl der innere Kritiker höchst unangenehm sein kann und für unser Selbstwertgefühl sicherlich nicht förderlich ist, ist er dennoch für uns da und hat eine Funktion. Meist enthält geht er zurück auf eine Erfahrung, die wir gemacht haben und in der seine Botschaft/Haltung uns vor etwas schützen oder etwas Gutes für uns bewirken sollte. Etwa: „Wenn ich mich mehr anstrenge, leiste ich mehr – und wenn ich mehr leiste, werde ich gemocht.“ oder: „Wenn ich einen Fehler mache, bedeutet das eine Katastrophe – es ist besser, gut darauf zu achten, nichts falsch zu machen.“ So oder so ähnlich könnten die unbewussten Absichten unseres Kritikers lauten.

Den inneren Kritiker neu bewerten

Der innere Kritiker ist nicht unser Feind! Wie kann man ihn aber stattdessen wahrnehmen und bewerten? Man könnte sagen, der Kritiker ist eine Instanz, die Gutes für uns will, die Art und Weise, wie sie es tut, ist jedoch leider negativ und wenig unterstützend für uns. Der Kritiker übt Druck auf uns aus, um zum Ergebnis zu kommen und kann uns dabei blockieren und im Weg stehen. Statt diesem „Tyrannen“ jedoch mit eben soviel Druck zu begegnen, hilft es weitaus mehr anzuerkennen, dass er ursprünglich etwas für uns und nicht gegen uns beabsichtigte. Darin liegen auch die zwei Seiten des inneren Kritikers, der uns einerseits durch seine Negativität schadet, andererseits jedoch immer auch einen positiven Aspekt für uns enthält.

Wenn wir den Kritiker also neu bewerten wollen, helfen uns die folgenden Fragen weiter:

  • Gibt es eine positive Absicht in den Botschaften des inneren Kritikers?
  • Wozu könnte der innere Kritiker auch gut sein?
  • Gab es schon einmal Situationen, in denen uns der innere Kritiker geholfen hat?