Mit dem Wertequadrat zu mehr Balance
Das Wertequadrat ist ein Modell, durch das sich mehr innere Balance herstellen lässt - sei es individuell, für uns selbst, oder in unseren sozialen Beziehungen. Es hilft, unsere persönlichen Werte zu reflektieren und zu erweitern, wenn wir sie zu einseitig leben. In Konflikten können wir mehr Verständnis für die Position des anderen entwickeln und finden leichter gemeinsam neue Handlungsschritte.
Das Wertequadrat basiert auf der Grundannahme, dass jeder unserer Werte oder Eigenschaften einen komplementären, das bedeutet gegensätzlichen Wert braucht, um ausbalanciert zu sein. In uns sind immer schon beide Werte bzw. Eigenschaften vorhanden, in der Regel tendieren wir jedoch zu einer Seite mehr. Zum Beispiel sind wir vielleicht mehr empathisch als selbstfürsorglich oder Kreativität/Freiheit ist für uns ein wichtigerer Wert als Struktur/Ordnung.
Problematisch kann es werden, wenn wir zu sehr zu einer Seite tendieren oder uns in einen Wert hineinsteigern. Wenn wir beispielsweise immer wieder empathisch auf die Bedürfnisse anderer Personen reagieren und uns selbst darüber vergessen oder gar nicht mehr wahrnehmen, was wir eigentlich brauchen - vielleicht auch, weil wir gelernt haben, eine Eigenschaft wie "egoistisch sein" abzulehnen.
Das Wertequadrat möchte das Spannungsfeld zwischen diesen gegensätzlichen Seiten ausgleichen und zwischen den Polen vermitteln, statt eine Seite zu grundsätzlich abzulehnen.
Wie verwende ich das Wertequadrat?
Wenn wir eine Seite oder ein Verhalten von uns nicht mögen oder sie uns immer wieder im Weg stehen, können wir uns die Frage stellen, welchen Wert oder welche Eigenschaft wir damit verbinden.
Die darauffolgenden Schritte des Wertequadrats möchte ich an dem Beispiel "Perfektionismus" veranschaulichen. Bildlich können wir uns das Modell als ein Quadrat aus vier Feldern vorstellen, von denen jeweils zwei ein Paar bilden und nebeneinander angeordnet sind.
Diejenige negative Eigenschaft, die wir an uns nicht mögen und bei der es uns schwerfällt, sie zu verändern ("Perfektionismus"), würde im Wertequadrat im Feld unten links stehen. (1)
Im nächsten Schritt können wir uns fragen, was der positive Kern dieser Eigenschaft ist, und kommen dabei vielleicht auf die Eigenschaft (den Wert) "Genauigkeit" oder "Leistungsbereitschaft", der uns sehr wichtig sind. Diese Eigenschaft wird im Wertequadrat links oben eingetragen. (2) Es lässt bereits erkennen, dass die negative Eigenschaft für uns einen durchaus guten und erstrebenswerten Anteil hat.
Anschließend können wir uns fragen, was der positive Gegenwert zu "Leistungsbereitschaft" ist. Das könnte beispielsweise die Eigenschaft "Lockerheit" sein, gemeint als "die Dinge locker angehen", eine entspannte Haltung annehmen. Dieser Wert wird im Feld rechts oben des Wertequadrats eingetragen. (3) Dieses Feld verdeutlicht die Eigenschaft, die uns am wahrscheinlichsten fehlt, wenn wir sehr in einer perfektionistischen Haltung gefangen sind. Nach dem Modell ist dies auch die Qualität, die wir mehr kultivieren sollten, wenn wir nach Veränderung streben.
Darunter, im rechten unteren Feld kann noch eingetragen werden, was das Extrem dieser Eigenschaft sein kann, zum Beispiel "Gleichgültigkeit" als Extrem zu "Lockerheit". (4)
Das Wertequadrat veranschaulicht so zum einen, welche Werte-Paare es gibt (Leistungsbereitschaft - Lockerheit) und weist darauf hin, welcher gegensätzliche Wert gestärkt werden muss, damit ein Gleichgewicht entsteht. Den meisten Menschen fällt es übrigens leichter, sich zu einem neuen positiven Wert hinzuentwickeln, als den negativen Wert/die negative Eigenschaft zu ändern bzw. zu verringern! Zum anderen stellt das Modell die Extreme dar (Perfektionismus - Gleichgültigkeit), die dann entstehen, wenn wir die positiven Werte jeweils besonders stark ausleben.
Um bei dem Beispiel zu bleiben: Wenn ich unter meinem Perfektionismus leide, ist es hilfreich, mich zu fragen, wie ich etwas mehr Lockerheit in mein Leben bringen kann - statt die perfektionistische Seite um jeden Preis abschaffen zu wollen.
Wie hilft das Wertequadrat bei Konflikten in Beziehungen?
In Konflikten mit anderen Menschen kann das Wertequadrat ebenfalls sehr nützlich sein. Wir können uns zum Beispiel fragen:
- Welche Position vertrete ich gerade? Gehe ich davon aus, dass der Wert, den ich vertrete, der einzig "wahre" und positive ist?
- Könnte die Position des*der anderen Person nicht auch eine gute Ergänzung zu meiner Position sein? Eventuell macht sie mich ja auch darauf aufmerksam, welche Eigenschaft bei mir zu gering ausgeprägt ist oder welche ich ablehne.
- Werfe ich meinem*er Partner*in, Freund*in etc. eventuell gerade die Extremeigenschaft vor? Das passiert sehr häufig in Konflikten...
- Gibt es einen guten Kern bei der Eigenschaft des*der anderen Person?
Diese Fragen können das Verständnis für die Position des*der anderen vertiefen. Die Absicht dahinter ist, in Streitgesprächen weniger zu polarisieren und abzuwerten, sondern im besten Fall den Standpunkt des anderen wertzuschätzen. Dann kann gemeinsam nach einem Weg gesucht werden, um beide Positionen mehr ins Gleichgewicht zu bringen.
Von wem stammt das Wertequadrat?
Zuletzt noch ein Hinweis darauf, woher das Wertequadrat stammt. Der Grundgedanke geht auf die Ethik des Aristoteles zurück, der die Tugend als die Balance zwischen zwei Extremen definiert hat. Entwickelt hat das Modell der Philosoph Nicolai Hartmann; und heute ist es insbesondere bekannt durch den Kommunikationswissenschaftler und Psychologen Friedemann Schulz von Thun, nach dem es als Werkzeug für die persönliche Weiterentwicklung und Kommunikationsanalyse verwendet wird.
Ich hoffe, du hast durch den Beitrag einen ersten Eindruck vom Wertequadrat erhalten und wünsche dir viel Freude dabei, deine Werte zu erkennen und ins Gleichgewicht zu bringen!
Sokratischer Dialog
Du darfst nicht alles glauben, was du denkst - diese Haltung könnte auch hinter der Methode des "sokratischen Dialogs" stehen, wie sie in Therapie und Coaching verwendet wird. Unsere Gedanken und Überzeugungen prägen unsere Wahrnehmung der Welt und fühlen sich für uns realistisch an - dabei sind es oft nur subjektive Sichtweisen und Urteile, die keineswegs "wahr" sind. "Ein Leben ohne Konflikte ist ein glückliches Leben. ", "Diese Prüfung bestehe ich sicher nicht.", "Jede Frau wünscht sich, eine Familie zu gründen". "Männer haben die Aufgabe, die Wünsche ihrer Partnerinnen zu erfüllen." ...
Einerseits helfen uns Überzeugungen, damit wir nicht jede Situation neu bewerten und uns für ein neues Verhalten entscheiden müssen. Gleichzeitig können uns gewohnte Sichtweisen daran hindern, neue positive Erfahrungen zu machen. Der Sokratische Dialog hilft uns, festgefahrene Überzeugungen und Glaubenssätze auf die Probe zu stellen und zu hinterfragen.
Der griechische Philosoph Sokrates (469-399 v. Chr.) nahm in Gesprächen häufig eine Position des Nichtwissens ein, d.h. er bewertete nicht und wollte seine Gesprächspartner auch nicht von seinen Ansichten überzeugen. Stattdessen wollte er andere darin unterstützen, ihre Gedanken zu überprüfen und einen eigenen Erkenntnisprozess in Gang zu setzen. Seine Gesprächsführung wurde vor allem durch Fragen charakterisiert ("Ist es nicht so, dass..." oder "Meinst du nicht, dass..."), die eine neue, ungewohnte Position aufzeigten. Damit regte er sein Gegenüber an, eine neue Haltung/Position auszuprobieren oder anzunehmen.
Bei der heutigen Verwendung der Methode werden meist zwei gegensätzliche Thesen diskutiert. Dies kann im Gespräch, während einer therapeutischen Sitzung oder im Coaching geschehen, oder du nimmst dir zuhause die Zeit, zwei Kurzvorträge zu verfassen, in denen du zunächst Argumente für die eine und dann für die andere Seite findest - ohne innerlich zu bewerten, sondern mit dem Ziel, beide Male zu überzeugen.
Wie wird der sokratische Dialog verwendet?
1. Wähle einen Glaubenssatz aus, der dich einschränkt oder andere negative Konsequenzen für dich hat,
z.B. "Ich kann mich für die neue Stelle erst bewerben, wenn ich alle erforderlichen Qualifikationen besitze." oder
"Eine gute Tochter (Freundin/Partnerin/Mutter etc.) ist für die Bedürfnisse ihrer Eltern (Freunde/des Partners/ihrer Kinder) verantwortlich."
2. Formuliere anschließend einen gegensätzlichen Glaubenssatz,
z.B. "Ich kann mich für die neue Stelle auch bewerben, wenn ich (noch) nicht alle erforderlichen Qualifikationen habe." oder
"Eine gute Tochter (Freundin/Partnerin/Mutter etc.) kümmert sich um ihre eigenen Bedürfnisse und kann sich gut abgrenzen."
3. Verfasse für beide Standpunkte einen jeweils etwa gleichlangen Kurzvortrag (ca. 1-1,5 Din A4 Seiten bzw. 3-5 Min Redezeit).
Die Zuhörer*innen sollen nicht erkennen können, welchen Standpunkt du selbst vertrittst, sondern du setzt dich gleichermaßen intensiv mit beiden Positionen auseinander. Bereits das Schreiben und die Beschäftigung mit den gegensätzlichen Positionen kann unsere Sicht der Dinge erweitern und starre Überzeugungen lockern - und darf auch Spaß machen! Auch wenn es zunächst paradox erscheint, gibt es immer auch Argumente für die Gegenseite, die wir nur oft übersehen, weil wir Beweise für unsere bekannte Weltsicht sammeln.
Ein Gewinn aus dem sokratischen Dialog kann sein zu erkennen, dass es bei den Überzeugungen kein "richtig" oder "falsch" gibt, sondern wir uns irgendwann unbewusst für eine Position entschieden haben. Beide Standpunkte sind im Grunde gleichwertig und blockierende Glaubenssätze entsprechen oft mehr unseren (meist irrationalen) Ängsten und Befürchtungen. Indem wir Argumente und Beweise für die andere Seite sammeln, ergibt sich ein vollständigeres Bild.
Wir erhalten die Möglichkeit, unsere Wahrnehmung zu erweitern - und uns für einen anderen Standpunkt zu entscheiden, der uns besser unterstützt. In jedem Fall sind wir uns bewusster geworden über unsere Glaubenssätze und wurden vielleicht überrascht und ermutigt, unsere Denkmuster zu verändern.
Viel Freude beim Ausprobieren der sokratischen Haltung!
Schuldgefühle vs. Verantwortung
Wenn wir jemanden enttäuscht haben, eine Verabredung vergessen, im Streit verletzende Dinge gesagt haben oder eine Beziehung in die Brüche gegangen ist, empfinden die meisten von uns anschließend Schuldgefühle. Manchmal ist das schlechte Gewissen fast schon ein vertrautes Gefühl, das in bestimmten Kontexten und bei bestimmten Menschen auftaucht. Dann können die Schuldgefühle und Selbstvorwürfe zu einer fast schon automatisch auftretenden inneren Stimme werden, die uns niederdrückt.
Schuldgefühle sind subjektiv, d.h. wie häufig und wie intensiv sie auftreten, ist individuell verschieden. Zwei Menschen in der völlig gleichen Situation können sehr unterschiedlich reagieren und Schuldgefühle entwickeln oder nicht. Wenn sie jedoch wiederholt auftreten, können sie die Gesundheit beeinflussen: Sie können Gereiztheit, Kopfschmerzen oder Magendruck auslösen, oder sogar Ängste und Depression mitverursachen.
Wie entstehen Schuldgefühle?
Schuldgefühle entstehen meistens durch hohe innere Ansprüche an sich selbst. Beispielsweise weil man ein guter Sohn/eine gute Tochter (ideale Ehepartner*in, Freund*in, Mutter, Vater etc.) sein möchte. Immer wenn wir den von uns selbst erhobenen Ansprüchen nicht genügen, kann das schlechte Gewissen einsetzen.
Eine Frage, die wir uns in solchen Momenten auch stellen können, ist: Welches innere Gebot habe ich gebrochen? Denn häufig haben wir früher einmal innere Regeln aufgestellt, an die wir uns immer unbewusst noch halten, wie beispielsweise: "ich darf mich nicht in den Vordergrund stellen", "ich darf nicht faul sein", oder "die Gefühle der anderen Person sind wichtiger als meine". Wenn wir diese inneren Regeln brechen, setzen Schuldgefühle automatisch wie ein Alarmsignal ein. Sie können ein Hinweis auf erlernte Gesetze sein, die wir heute jedoch hinterfragen können.
Was ist der Zweck von Schuldgefühlen?
Früher haben uns solche inneren Regeln vielleicht einmal gut geholfen, eine Situation zu überstehen. Schuldgefühle treten in Beziehungen auf und haben oft eine soziale Funktion: Sie zeigen an, dass wir gegen eine soziale Regel verstoßen haben (diese kann objektiv sein oder auch nicht) und dass wir etwas verändern oder wiedergutmachen müssen, mit dem Ziel, die Beziehung zu stärken.
Daneben schützen uns Schuldgefühle häufig noch vor einem anderen Gefühl, das für die meisten Menschen schwer zu ertragen ist: dem Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit. Für viele ist es tatsächlich leichter, sich schuldig zu fühlen - da es impliziert, dass wir noch Einfluss haben, etwa tun könnten oder zumindest hätten tun können ("es ist meine Schuld, dass ich etwas getan oder unterlassen habe"). Hilflosigkeit dagegen ist verbunden mit dem Gefühl, handlungsunfähig zu sein und nichts mehr tun zu können - eines der schwierigsten menschlichen Gefühle.
Wie lassen sich Schuldgefühle überwinden?
Paradoxerweise lassen uns Schuldgefühle jedoch ebenso in einer Position der Hilflosigkeit verharren: Wir nehmen die Hauptlast der Schuld auf uns, werten uns dafür ab und bleiben gefangen in der Sichtweise, nichts tun zu können, um die Situation zu verändern. Die Schuldgefühle weisen uns nicht den Weg hinaus aus dem Konflikt. Wir können jedoch wieder in eine verantwortungsvolle, reife Position wechseln und uns überlegen, welche Schritte notwendig sind.
1. Das schlechte Gewissen hinterfragen: Der erste Schritt sollte sein, die Situation genauer wahrzunehmen und sich zu fragen, was man glaubt, "falsch" gemacht zu haben. Was hätte ich objektiv besser/anders machen können? Welchen meiner Werte bin ich nicht gerecht geworden? Gegen welche inneren Gesetze habe ich verstoßen? Bei diesem Schritt ist es gut, ehrlich zu sich selbst zu sein, aber auch so objektiv wie möglich zu fragen, was man wirklich unter den gegebenen Umständen hätte tun können.
2. Die Verantwortung akzeptieren: Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass wir anders hätten handeln können und dass unser Verhalten falsch war, können wir das im nächsten Schritt vor uns selbst akzeptieren. Verantwortung für das eigene Fehlverhalten zu übernehmen, bringt uns selbst einen Riesenschritt heraus aus der Negativspirale der Schuldgefühle und dem Gefühl der Hilflosigkeit - zurück in einen Zustand der Kontrolle. Wir können sowohl etwas tun, um die Situation zu verbessern, z.B. auf die andere Person zugehen, und werden auch wieder frei voranzuschreiten und nehmen Einfluss auf unsere eigenen Gefühle.
3. Bei objektiver Schuld - gibt es etwas wiedergutzumachen? Wenn wir jemanden verletzt oder einen Schaden verursacht haben, sollten wir überlegen, wie wir Wiedergutmachung leisten können. Was braucht es in der Situation (was braucht die andere Person), um das Geschehene zu lindern oder zu reparieren? Ist eine Entschuldigung angebracht oder können wir konkret etwas leisten, um den Schaden auszugleichen? Auch: Was wollen wir verändern, damit die Situation sich in Zukunft nicht wiederholt?
4. Wie viel Verantwortung trage ich? - der Schuldkuchen Eine gute Übung ist, die verschiedenen Faktoren, die zu der Situation beigetragen haben, in ein Torten-Diagramm zu übersetzen. Auf ein Blatt Papier wird ein Kreis gemalt, in den verschieden große Teile ("Kuchenstücke") eingetragen werden. Diese spiegeln die verschiedenen Umstände, Voraussetzungen, beteiligte Personen etc., die vermutlich mit zu der Situation geführt haben. Auch der eigene Anteil wird eingetragen. Durch die Visualisierung wird klarer, dass immer mehrere Faktoren beteiligt sind und wie groß der eigene Einfluss gewesen ist.
5. Grenzen setzen. Wenn wir bemerken, dass die innere Stimme, die uns Schuld zuweist, sehr dominant ist und auf früheren Erfahrungen beruht, kann es auch angebracht sein, nur den Teil anzunehmen, für den man wirklich verantwortlich ist, und ganz bewusst den Anteil, den man nicht beeinflussen konnte, loszulassen. Es kann bedeuten, innerlich die Kontrolle über diesen Teil abzugeben. Das kann sehr erleichternd sein. Sind die alten Gebote immer noch angemessen? Oder wäre es besser, aus einer reifen Position heraus neue Grenzen zu setzen?
6. Mitgefühl - sich selbst und anderen verzeihen. Vielleicht der stärkste Punkt von allen im Umgang mit Schuldgefühlen ist, mich sich und anderen mitfühlend zu sein. Sich selbst auch als Menschen zu sehen, der Fehler und Schwächen hat und der wahrscheinlich nicht die Absicht hatte, jemandem zu schaden. Wie würden wir über unsere*n beste*n Freund*in denken, wenn er/sie in der gleichen Situation wäre? Würden wir ihm/ihr gegenüber verständnisvoll und mitfühlend sein? Und wenn wir selbst verletzt wurden: Können wir das gleiche Mitgefühl auch der anderen Person schenken?
Diese Aspekte sind als Anregungen zu verstehen, wie wir das schlechte Gewissen überwinden und zu mehr (Selbst-)Verantwortung finden können. Ich wünsche dir einen wertfreien Blick auf dich und andere und viel innere Gelassenheit.
Wie wir in Beziehungen kommunizieren
Damit wir uns in unseren Beziehungen verbunden fühlen, ist Kommunikation unerlässlich. Es stärkt und vertieft eine Beziehung, wenn wir in der Lage sind, uns konstruktiv auszutauschen, unsere Bedürfnisse mitzuteilen oder auch Konflikte offen anzusprechen. Und dennoch drehen wir uns in Gesprächen mit unseren Partner*innen häufig im Kreis, fühlen uns unverstanden oder reagieren sehr emotional. Wie finden wir in solchen Momenten wieder eine gute Gesprächsbasis und bleiben in Kontakt mit uns selbst und mit unserem Gegenüber?
Wer spricht gerade?
Wenn wir uns in einem Gespräch übermäßig angegriffen fühlen oder wir bemerken, dass wir sehr stark auf Äußerungen reagieren, kann es gut sein, dass wir emotional getriggert wurden. Obwohl sich an der Situation äußerlich nichts geändert hat, hat es innerlich einen wunden Punkt getroffen, bei dem wir oft nicht einmal genau sagen können, was es denn eigentlich war. Dann wiederholen sich innerlich bekannte Beziehungsmuster, die gar nichts mit der aktuellen Situation zu tun haben, und ein "altes Programm" spult sich ab. Beispielsweise erinnern uns ein Thema, eine Formulierung, die unser Gegenüber benutzt, ein Tonfall oder eine Geste an eine Situation aus unserer Kindheit, die wir als bedrohlich erlebt haben. In diesem Moment werden - unbewusst - alte Gefühle, die damals angemessen waren, wieder geweckt.
Wenn es unbewusst bleibt, wird unsere Reaktion entsprechend heftig ausfallen - passend zu der früheren Situation - und wir führen das Gespräch dann quasi aus kindlicher Perspektive weiter. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden wir unsere*n Partner*in mit mehr Widerstand, Ärger oder Trauer begegnen, als wir es eigentlich möchten. Unsere Gefühle gehen mit uns durch. Wenn wir das bemerken, wäre es hilfreich, wenn wir einen Moment Abstand nehmen und uns fragen, wer gerade aus uns spricht; ob das noch wir als erwachsenes Gegenüber sind, oder ob es jüngere Anteile in uns sein könnten, die noch mit früheren Erfahrungen verbunden sind. Das Gleiche gilt übrigens auch für unser*e Gesprächspartner*innen. Auch sie können unbewusst wieder in Kontakt mit alten Gefühlen und Erfahrungen gekommen sein.
Hilfreiche Schritte können dann sein, etwas Abstand zu nehmen, sich selbst und der anderen Person mit Mitgefühl zu begegnen und das Gespräch bewusst aus einer erwachsenen Perspektive fortzuführen. Wenn das in diesem Moment nicht möglich ist, dann zu einem späteren Zeitpunkt.
Grundlagen für eine gute Kommunikation
Die Basis für ein konstruktives Gespräch in einer Beziehung ist, dass sich zwei Erwachsene begegnen. Wenn wir darüber hinaus alte Gesprächsmuster nicht fortführen, sondern unsere Kommunikation verbessern wollen, gibt es noch weitere Aspekte, die dazu beitragen können:
- Die Gesprächspartner*innen hören aktiv zu: Grundlage ist, dass wir wirkliches Interesse an dem haben, was unser Gegenüber uns mitteilen möchte und dass wir versuchen, sie bzw. ihn zu verstehen. Aktives Zuhören meint grundsätzlich noch etwas mehr: Es ist eine Technik, bei zunächst einer nur zuhört und anschließend den Inhalt des Gesagten wiederholt, um zu prüfen, ob es so stimmt...
- Möglichst wertfreies Wahrnehmen und Sprechen: Beide Seiten können sich darin üben, wertfrei zu sprechen und wahrzunehmen. Statt bewertet zu werden oder selbst zu (ver)urteilen und in eine Position von Angriff oder Rechtfertigung zu fallen, entsteht vielmehr ein sicherer Rahmen, in dem freier und ehrlicher gesprochen werden kann. Dieser und die nächsten drei Aspekte orientieren sich an der Methode der Gewaltfreien Kommunikation.
- Gefühle wahrnehmen und benennen: Statt tief in die Gefühle einzusteigen oder sie wegzudrücken, ist hilfreich, sie wahrzunehmen und auszusprechen. Statt: "Schon wieder gibst du mir die Schuld an allem!" ist hilfreicher im Gespräch: "Ich bin traurig darüber, wie wir in letzter Zeit miteinander reden. Ich fühle mich allein und überfordert mit der Situation." o.ä. Ich-Botschaften unterstützen dabei das gegenseitige Verständnis.
- Bedürfnisse wahrnehmen und benennen: Um aber nicht bei den Gefühlen stehenzubleiben, sondern auch zu erforschen, worum es den Sprechenden jeweils geht, können die eigenen Bedürfnisse erforscht und genannt werden. Hinter dem Ärger liegt vielleicht das Bedürfnis nach mehr Nähe und Verbundenheit, hinter der Trauer kann das Bedürfnis mehr Respekt und Wertschätzung nach stehen... Werden die Bedürfnisse ausgesprochen, fällt es oft leichter, ein klärendes Gespräch zu führen.
- Eine Bitte oder einen Wunsch äußern: In manchen Gesprächen und Konfliktsituationen werden zwar wichtige Themen und Bedürfnisse angesprochen, anschließend bleibt aber unklar, was jetzt zu tun ist. Die Dinge offen auszusprechen und zu hören, worum es dem*der anderen geht, reicht manchmal schon aus, manchmal braucht es aber noch einen weiteren Schritt, um die Situation zu lösen. Möglich ist, eine Bitte an die andere Person zu formulieren, damit sich das Bedürfnis erfüllt.
- Zwischen Sach- und Beziehungsebene unterscheiden: Nehmen wir die Aussagen unseres*er Gesprächspartners*in auffallend oft persönlich und fühlen uns angegriffen, können wir auch nochmals prüfen, wie wir die Botschaften tatsächlich aufnehmen. Der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun unterscheidet dabei zwischen Sachinformations- und Beziehungsebene. Hören wir bei einer Äußerung vor allem die Sachebene, nehmen wir nur die Informationen auf, liegt unser Fokus mehr auf der Beziehungsebene, hören wir vor allem einen Hinweis über die Beziehung, z.B. "Wenn du das tust, bist du ein*e schlechte*r Partner*in." Dann wäre es gut, nochmals wirklich gut wahrzunehmen, was gesagt wurde, oder auch nochmals nachzufragen, wie es gemeint ist...
In der Kommunikation geht es nicht darum, alle Regeln zu befolgen und jederzeit alles richtig zu machen. Finde heraus, was dir hilft, in Beziehungen gut zu kommunizieren, und erlaube dir auch Unsicherheiten dabei. Ich wünsche dir eine lebendige und wertschätzende Kommunikation!
Wie bringe ich mehr Achtsamkeit in meinen Alltag?
„Schon wieder bin ich nicht dazu gekommen, mir Zeit für mich zu nehmen.“, „Ich könnte ausrasten vor Ungeduld!“ „Mein Tag ist so vollgepackt, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.“, Mein Chef hat mich mit seiner letzten Bemerkung echt verletzt.“ … Oft fällt es uns im Alltag nicht leicht, auf uns selbst und unsere Bedürfnisse zu achten oder auch mit intensiven Gefühlen gelassen umzugehen. Wir scheinen den äußeren Anforderungen und unseren Gefühlen ausgeliefert zu sein, geraten in Stress und wissen nicht, wie wir uns selbst beruhigen können.
Eine Möglichkeit, sich daraus zu befreien und sich wieder besser zu fokussieren, ist die Methode der Achtsamkeit. Die Idee der Achtsamkeit stammt aus dem Buddhismus, heute wird sie jedoch vielfach in therapeutischen Zusammenhängen eingesetzt. Eine Definition dafür ist: Achtsamkeit bedeutet, bewusst wahrzunehmen, was im gegenwärtigen Moment passiert, ohne es zu bewerten. Die Gedanken, die unbewusst immer wieder zurück in die Vergangenheit oder in eine sorgenvolle Zukunft springen, werden angehalten, und wir richten unsere Aufmerksamkeit wieder stärker auf das, was tatsächlich da ist, und sind mitfühlender mit uns selbst.
Achtsamkeit bringt viele Vorteile mit sich: Grundlegend kann man sagen, dass sie hilft, uns von unliebsamen Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen (Gewohnheiten) zu distanzieren. Wir treten innerlich einen Schritt zurück und reagieren weniger überwältigt von bestimmten Situationen. Wir gehen mit uns selbst aufmerksamer um und indem wir uns weniger bewerten, behandeln wir uns selbst freundlicher. Nicht zuletzt werden wir freier, anders auf Situationen und Menschen zu reagieren, als wir es bisher gewohnt sind, wir können typische Verhaltensmuster durchbrechen, wenn wir es wollen.
Für mich gehört zum Weg der Achtsamkeit auch dazu, sich selbst immer wieder daran zu erinnern, kleine Schritte zu machen, vor allem, wenn wir etwas Neues lernen wollen oder wenn uns etwas herausfordert. Es lohnt sich, sich mehr mit der Methode der Achtsamkeit zu beschäftigen, mich interessiert jedoch besonders, wie sich Achtsamkeit leichter in den Alltag integrieren lässt. Die gute Nachricht ist: selbst kleine achtsame Momente können sehr viel Wirkung haben.
9 Schritte, um mehr Achtsamkeit in den Alltag zu bringen
1. Eine*n innere*n Beobachter*in installieren: Wenn wir anfangen, die Gegenwart bewusst nur wahrzunehmen, statt einzugreifen oder uns von unseren Gedanken und Gefühlen vereinnahmen zu lassen, können wir bemerken, dass es in uns eine Seite/eine Instanz gibt, die alles aufmerksam beobachtet, ohne mit den Erlebnissen „verstrickt“ zu sein. Diese Instanz können wir auch den oder die neutrale*n, wohlwollende*n Beobachter*in nennen. Sie sieht zum Beispiel unsere aktuelle Umgebung, die Bäume im Park, unseren Schreibtisch im Büro o.ä. und nimmt auch wahr, was gerade passiert, beispielsweise jemand lächelt uns an oder wir reagieren verärgert auf eine Bemerkung. Je häufiger du in den Beobachtermodus wechselst, desto häufiger kommt diese Seite zum Vorschein und dadurch entsteht bereits eine innere Distanzierung.
2. Den Atem beobachten: Meine Lieblingsmethode, um wieder in einen achtsamen Kontakt mit mir zu kommen, ist, für kurze Zeit meinen Atem zu beobachten. Denn bei der Methode der Achtsamkeit geht es auch darum, eine freundliche Beziehung zu sich selbst zu entwickeln. Drei oder vier Atemzüge lang nimmst du einfach nur wahr, wie du ein- und wieder ausatmest. Das klingt einfacher als es ist, denn wir sind es nicht gewohnt, mit unserer Aufmerksamkeit so konzentriert bei einer Sache zu bleiben. Es geht dabei nicht darum, etwas zu verändern oder zu verbessern, sondern wirklich nur wahrzunehmen. Wenn du merkst, dass du gedanklich abschweifst, lenke deine Aufmerksamkeit einfach wieder zurück auf den Atem.
3. Gefühle bewusst wahrnehmen: Schon eine kleine Herausforderung kann es sein, nicht gegen unsere Gefühle anzukämpfen oder sie vermeiden zu wollen, sondern sie „einfach“ nur zuzulassen und zu beobachten. Auch hier hilft wieder der/die innere Beobachter*in: Es geht darum, eine freundliche und neutrale innere Haltung einzunehmen und das aktuelle Gefühl interessiert zu untersuchen. Wie fühlt sich der Ärger/das Traurige in uns an? Wo nehmen wir es im Körper wahr? Ist es groß oder klein? Bewegt es sich oder ist starr? … Wenn wir uns Zeit nehmen, unsere Gefühle ein paar Momente lang zu erforschen, stellen wir oft fest, dass sie weniger bedrohlich werden. Wir nehmen eine Haltung der offenen Aufmerksamkeit ein und erleben dadurch auch, dass wir mehr sind, als unsere Gefühle („Ich kann meine Gefühle beobachten, also bin ich mehr als meine Gefühle“).
4. Den eigenen Körper wahrnehmen, scannen: Achtsamkeit ist eine absichtslose Praxis. Und so kann es eine achtsame Übung sein, eine kleine Zeit mit sich selbst zu verbringen und den eigenen Körper aufmerksam wahrzunehmen. Also: Alles aufmerksam beobachten, was gerade da ist, zum Beispiel ein Grummeln im Magen, ein Kribbeln in der linken Hand, den eigenen Herzschlag. Wird man aufmerksam auf den eigenen Körper, bemerkt man erst, wie viel eigentlich im Inneren „los ist“. Es führt dazu die Sinne von der Umgebung weg und wieder nach innen zu richten. Wer es gerne strukturierter mag, scannt die Teile des eigenen Körpers mit seiner Aufmerksamkeit langsam von unten nach oben (oder in die umgekehrte Richtung). Das bedeutet man lenkt die Aufmerksamkeit zunächst auf die Füße, dann die Unterbeine, die Knie… bis hin zum Kopf.
5. Eigene Bedürfnisse aufmerksam wahrnehmen. Im Alltag sind wir oft so mit unseren Aufgaben beschäftigt, dass unsere elementaren Bedürfnisse oft untergehen. Eine Möglichkeit, um gegenzulenken ist, sich die Frage anzugewöhnen: Was brauche ich gerade? Das können wir mehrmals am Tag tun oder auch besonders in Momenten, in denen wir merken, dass wir gestresst und belastet sind. Mögliche Antworten auf diese Frage können sein: Ein Glas Wasser, eine kurze Pause, mal wieder Atem holen, ein Telefonat mit einem*er guten Freund*in, mich kurz hinlegen und ausruhen, eine Umarmung… Welche kleine Sache kannst du in diesem Moment selbst tun, um dir ein Bedürfnis zu erfüllen – und dadurch aus dem Hamsterrad auszusteigen?
6. Pausen machen bzw. einhalten: Fast schon zur Definition von Achtsamkeit gehört, innezuhalten und dadurch das Karussell der Ereignisse, Gedanken und Gefühle zu unterbrechen. Wann war deine letzte Pause? Wie kannst du für einen Moment aus einer stressigen Situation aussteigen? Zum Beispiel indem du ein Fenster öffnest und die frische Luft atmest, durch einen kleinen Spaziergang oder auch durch eine Pause, in der du etwas trinkst oder isst. Mach es dir zu einer guten Gewohnheit, regelmäßige Pausen einzubauen, das kann auch am Morgen schon beginnen, wenn du statt wie gewöhnlich nach dem Aufstehen ins Bad gehst und später zur Arbeit startest, dir erst einmal eine kleine Zeit für dich nimmst, um dich freundlich zu begrüßen, etwas für dich zu tun oder für 5 Minuten deine Lieblingsmusik hörst…
7. Nichtstun: Ja, auch Nichtstun kann eine Achtsamkeitspraxis sein. :-) Eine der besten Möglichkeiten, um uns zu entspannen und zu entstressen ist, eine kurze Weile lang einfach nichts zu tun. Kennen viele von uns, machen wir aber dennoch häufig zu selten. Wann hast du das letzte Mal nichts getan und hast dich dafür selbst nicht verurteilt (mit Gedanken wie „ich bin faul“, „ich schaffe gar nichts“, „eigentlich sollte ich jetzt…“). Erlaube dir, unproduktiv und zweckfrei einfach Zeit zu verbringen. Das kann unter Umständen ein radikaler Befreiungsakt sein und deine gewohnten Muster auf den Kopf stellen. Zur Achtsamkeit gehört auch das Nichtreagieren, das bedeutet, weder auf die kritischen Stimmen im Kopf noch auf die scheinbaren Erwartungen von außen zu reagieren, und wahrzunehmen, wie es sich anfühlt.
8. Die eigenen Gedanken beobachten: Eine Möglichkeit, um Abstand von kritischen Stimmen und negativen Gedanken zu bekommen ist, die Gedanken bewusst zu beobachten. Also sich nicht den Stimmen im eigenen Kopf zu überlassen, sondern die auftauchenden Gedanken nacheinander zu identifizieren („Aha, da ist der Gedanke xy, interessant!“), ohne sie zu bewerten. Dadurch identifizieren wir uns nicht mehr mit unseren Gedanken (ich bin dieser Gedanken und er ist wahr“), sondern nehmen sie als das wahr, was sie sind, als reine Gedanken. Es braucht vielleicht etwas Übung, um sich auf diese Art von den Gedanken zu distanzieren, aber es genügt auch schon, sich beim nächsten Gedanken zu sagen: „Aha, das ist nur ein Gedanke“ und ihn dann bewusst wieder loszulassen.
9. Achtsamkeit in der Natur: Besonders leicht fällt es den meisten Menschen, in der Natur achtsam zu sein. Draußen fokussieren wir uns fast automatisch auf die umgebende Natur, grüne Wiesen, Bäume, frische Luft, oder auch unsere eigenen Bewegungen, unseren eigenen Rhythmus, der eben nicht getrieben ist und von außen vorgegeben wird. Unsere Aufmerksamkeit wird dadurch meist von selbst nach innen gelenkt und kommen wieder in Kontakt mit uns selbst. Wir gehen uns wieder frei; Spazierengehen ist dadurch oft auch ein Motor für unsere Kreativität, wenn unsere Gedanken eine Pause machen und wieder frei fließen können. Das Gehen selbst kann eine Achtsamkeitspraxis sein, aber auch der absichtslose Blick auf das, was schon da ist.
Diese 9 Schritte sind Möglichkeiten, um Achtsamkeit mehr im Alltag zu verankern. Sie sind als Anregungen zu verstehen – wenn du möchtest, beginne mit einem Impuls, der dich besonders anspricht. Du kannst dir auch eine Erinnerung einbauen, zum Beispiel „immer, wenn ich eine neue Aufgabe beginne, atme ich erst einmal dreimal durch“ oder oder oder… Viel Freude und Achtsamkeit mit dir und mit deinem Umfeld!
Was bedeutet eigentlich… der Begriff „Narzissmus“?
Im allgemeinen Sprachgebraucht ist es häufig abwertend gemeint, wenn jemand als Narzisst*in bezeichnet wird. Darunter versteht man häufig einen Menschen, der übermäßig stark nach Anerkennung strebt, selbstverliebt ist und dem die Bedürfnisse anderer egal sind. Gleichzeitig wird aktuell gesellschaftlich viel über Narzissmus diskutiert, ohne dass der Begriff ausreichend definiert und genauer eingeordnet wird. Dadurch wird der narzisstische Persönlichkeitsstil oft auch mit (Vor-)Urteilen beladen. Auch wissenschaftlich ist der Begriff Narzissmus nicht unumstritten bzw. es existieren unterschiedliche Konzepte dazu.
In der Psychologie unterscheidet man zwischen Narzissmus und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Unter Narzissmus versteht man zunächst neutral ein komplexes Persönlichkeitsmerkmal, das – wenn bestimmte Eigenschaften zusammenkommen – einen Persönlichkeitsstil bildet. Ein Persönlichkeitsstil ist nicht problematisch; erst wenn der Narzissmus stark ausgeprägt ist und für die Betroffenen und ihre Umwelt zu Leid führt, spricht man von einer Persönlichkeitsstörung. Die Grenzen zwischen Persönlichkeitsstil und -störung sind tatsächlich fließend. Als Persönlichkeitsmerkmal tragen wir alle narzisstische Anteile in uns, die sich beispielsweise in Selbstbewusstsein oder in einer Anspruchs- und Leistungsorientierung zeigen können.
Kriterien eines narzisstischen Persönlichkeitsstils
Woran erkenne ich nun, ob ich selbst oder Menschen in meinem Umfeld narzisstische Tendenzen haben? Was sind Kriterien für einen narzisstischen Charakter?
– Ein übertriebenes, unbegründetes Gefühl der eigenen Bedeutung und Talente (Grandiosität). Einerseits besitzen Narzisst*innen ein übersteigertes Selbstwertgefühl, andererseits werden Gefühle wie Scham, Schuld, Angst, Hilflosigkeit und Selbstabwertung (mangelnder Selbstwert) durch Größenideen, Perfektionismus, Abwertung anderer Menschen, bis hin zu Wut und Aggressivität ausgeglichen.
– Menschen mit narzisstischer Persönlichkeit sind oft stark eingenommen von Phantasien grenzenlosen Erfolgs, Einfluss, Macht, Intelligenz, Schönheit oder idealer Liebe (Allmachtphantasien bzw. Idealisierung).
– Selbstidealisierung: Betroffene glauben von sich „besonders“ und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder angesehenen Personen verstanden zu werden. Umgekehrt fühlen sie sich schnell kritisiert bzw. durch Kritik persönlich angegriffen. Misserfolge können sie in schwere Krisen stürzen.
– Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeit haben häufig ein übergroßes Bedürfnis nach Anerkennung und Bewunderung. Anerkennung zu bekommen ist ein Hauptantrieb für ihr Handeln und ihre Entscheidungen.
– Ein erhöhtes Anspruchs- und Leistungsdenken. Gemeint sind damit übertriebene Erwartungen an eine bevorzugte Behandlung oder der Anspruch, dass automatisch auf die eigenen Erwartungen eingegangen wird.
– In zwischenmenschlichen Beziehungen verhalten sich Narzisst*innen oft ausbeuterisch oder sogar manipulativ, das heißt, sie nutzen andere aus, um die eigenen Ziele zu erreichen, und zeigen dabei wenig Verständnis und Einfühlung.
– Die Betroffenen zeigen oft einen Mangel an Empathie, das heißt sie sind nicht willens bzw. nicht in der Lage, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren. Ihnen fehlt die emotionale Empathie und das Schwingungsvermögen, um sich in andere hineinzuversetzen.
– Neid (und das Vergleichen mit anderen) ist ebenfalls ein Kriterium für den narzisstischen Persönlichkeitsstil. Es umfasst sowohl den Neid auf andere sowie den Glauben, dass andere sie beneiden.
– Betroffene zeigen meist arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen. Dieses Kriterium schließt jedoch auch die Verletzlichkeit von Narzisst*innen nicht aus. Vielmehr gibt es häufig starke Schwankungen zwischen diesen beiden Seiten.
Für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung nach dem Diagnosemanual DSM-5 müssen mindestens fünf dieser Kriterien erfüllt sein.
Spannend sind besonders die Schwankungen (Ambivalenz) zwischen den Extremen: Idealisierung und Entwertung, Gefühl der Grandiosität und mangelndes Selbstwertgefühl, Arroganz und Verletzlichkeit. Im Hintergrund ist oft eine Unsicherheit über die eigene Identität zu finden (Wer bin ich eigentlich?). Zugleich können Selbstzweifel und das Gefühl nicht zu genügen, das viele Narzisst*innen kennen, auch ein großer Motor für Kreativität und herausragende Leistungen in vielen Bereichen sein…
Beziehungen mit Narzisst*innen können ebenso anregend wie herausfordernd sein. Sie können faszinieren und treten oft originell, charismatisch oder humorvoll auf. Oft entwickeln sie große Gefühle – können sich aber im nächsten Moment ihrer Gefühle und der Beziehung wieder unsicher, das heißt ambivalent sein. Häufig ist in Beziehungen mit ihnen wichtig, eine gute und flexible Abgrenzung zu entwickeln.
Eine therapeutische Behandlung bei narzisstischer Persönlichkeitsstörung ist möglich. Voraussetzung ist, wie auch bei anderen psychischen Störungen, dass die Betroffenen selbst die Bereitschaft zur Therapie mitbringen. Wenn Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung sich Unterstützung suchen, können auch andere Gründe, wie Beziehungskrisen, Gefühle von Scham und Versagen oder Depressionen, Anlass dafür sein. Meist benötigt die therapeutische Arbeit mit Persönlichkeitsstörungen einen sehr langen Prozess, der die unterschiedlichen Aspekte mit einbezieht.
Was bedeutet eigentlich der Begriff „Co-Abhängigkeit“?
Wenn ein geliebter Mensch seelisch krank ist, beeinflusst das oft auch das Leben seiner Angehörigen. Die Krankheit belastet die Beziehung, die Angehörigen oder Partner*innen richten oft unbewusst ihre ganze Aufmerksamkeit auf die andere Person, sie machen sich abhängig von dessen Wohlbefinden oder Krankheitszustand und ordnen sich unter. Manchmal bis zu dem Punkt, an dem sie eigene Symptome entwickeln.
Der Begriff „Co-Abhängigkeit“ kann sich auf den Bereich der Suchterkrankungen beziehen: Alkoholismus oder andere Suchterkrankungen können dazu führen, dass die Lebensqualität der Partner*innen stark beeinträchtigt wird und sie selbst Anzeichen von Abhängigkeit entwickeln – indem sie die Suchterkrankung in den Mittelpunkt stellen und gleichsam zum „Mitgefangenem“ der Sucht werden.
Der Begriff lässt sich aber ebenso auf weitere Bereiche beziehen, wie z.B. Co-Depressionen oder Co-Abhängigkeit in Beziehungen. Vielleicht noch wichtig zu sagen: Co-Abhängigkeit ist keine Diagnose und soll nicht zur Schuldzuweisung dienen. Vielmehr kann der Begriff auf die Herausforderungen und Belastungen im Zusammenleben mit den Betroffenen aufmerksam machen.
Woran erkennt man nun Co-Abhängigkeit in diesen Bereichen und welche Schritte sind möglich, um sich daraus zu lösen?
Co-Abhängigkeit bei Sucht
Eine Suchterkrankung schränkt den Alltag der Betroffenen meist stark ein – und das betrifft oft auch den Alltag der Angehörigen, die in die Erkrankungen des nahestehenden Menschen quasi mitverstrickt sind. Stimmungsschwankungen und Verhaltensänderungen aufgrund der Sucht werden miterlebt und allzu oft wird man dabei mit seiner eigenen Hilflosigkeit konfrontiert. Um dem*der Partner*in zu helfen oder auch um das Zusammenleben weiterhin aufrechtzuerhalten, wählen Angehörige oft Strategien im Umgang mit der Erkrankung, die ihnen selbst schaden.
Sie versuchen, den Betroffenen vor den Folgen seiner Sucht zu beschützen, kümmern sich verstärkt um ihn oder sie, versuchen vielleicht, die Erkrankung vor anderen zu vertuschen und räumen hinter dem Suchtkranken auf. Auch der Versuch, Einfluss zu nehmen und das Suchtverhalten des anderen zu kontrollieren, verstärken die Co-Abhängigkeit, weil unterschätzt wird, dass eine Erkrankung nicht durch äußere Willenskraft überwunden werden kann. Bei ihren Bemühungen merken Co-Abhängige oft nicht, wie sehr sie selbst ihre Grenzen überschreiten und eigene Bedürfnisse und Gefühle vernachlässigen.
Co-Depressionen
Auch das Zusammenleben mit einem*er depressiven Partner*in kann eine Herausforderung sein. Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit oder Unverständnis für die Gefühle des anderen können die Beziehung belasten und den Eindruck hervorrufen, dass man vom anderen ausgeschlossen wird. Die eigene Stimmung wird vom anderen beeinflusst und gemeinsame Unternehmungen oder auch die Verantwortung für den gemeinsamen Alltag und die Familie können zeitweise vielleicht nicht gemeinsam getragen werden. Es besteht die Gefahr, dass man sich auseinanderlebt oder Situationen von Überforderung entstehen. Auch sinkender Lebensmut bei einem depressiven Menschen kann eine verstärkte Belastungssituation bedeuten.
Trägt jemand die Erkrankung eines*er Partner*in mit und erlebt, wie sich alles nur noch um die Krankheit dreht, ergeben dadurch immer mehr Belastungssituationen, kann es die Entstehung von Depressionen bei Angehörigen und Partner*innen begünstigen. Merkmale für eine Co-Depression können dabei sein: Trauer, Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit; pessimistischer Blick in die Zukunft; zunehmende Isolierung von Freunden und Verwandten; Vernachlässigung von Hobbies und Aktivitäten; Gedanken kreisen fast ausschließlich um den*die Partner*in und seinen*ihren Zustand; körperliche Symptome wie Magen- oder Kopfschmerzen.
Co-Abhängigkeit in Beziehungen
Co-Abhängigkeit in Beziehungen ohne psychische Erkrankung ist ein Synonym für unausgeglichene Beziehungen, in denen sich ein*e Partner*in unverhältnismäßig an den*die andere bindet. Unbewusst befassen sich co-abhängige Menschen fast ausschließlich mit den Gedanken und Handlungen der anderen Person, der sie eine größere Bedeutung geben, als sich selbst. Mit der gesteigerten Aufmerksamkeit für den anderen geht der Kontakt zu sich selbst, zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen verloren. Eigene Grenzen werden überschritten oder es wird zugelassen, dass sie überschritten werden. Wünsche und Aktivitäten werden zugunsten der Wünsche des*der Partners*in zurückgeschraubt. Oft steht die Angst dahinter, den anderen zu verlieren, wenn man sich anders verhält bzw. sich zeigt, wie man ist (geringes Selbstwertgefühl).
Häufiges Anzeichen ist eine emotionale Abhängigkeit, das Gefühl, ohne die Liebe und Bestätigung der anderen Person nicht auskommen zu können. Einerseits gibt die Person dem*der Partnerin die Macht darüber zu bestimmen, wie frei, liebenswert und toll sie ist, andererseits übernimmt sie meist die ganze Verantwortung für die Beziehung und die Gefühle der anderen Person und fühlt sich schuldig, wenn etwas nicht gut läuft. Ein gewisses Maß an Abhängigkeit gehört in Beziehungen dazu, werden aber regelmäßig eigene Vorlieben und Gefühle unterdrückt und zurückgehalten, sollte man sich zumindest nach den Gründen fragen.
Wege aus der Co-Abhängigkeit
Je nachdem wie stark das co-abhängige Verhalten ausgeprägt ist (wie stark die Einschränkung ist), kann es leichter oder schwieriger sein, sich daraus zu befreien. Unter Umständen ist es sinnvoll, sich von einem Coach oder einem*er Therapeut*in unterstützen zu lassen, z.B. wenn die Co-Abhängigkeit schon seit langem besteht und du darunter leidest. Dennoch möchte ich ein paar Gedanken teilen, die hilfreich sind, um sich aus der Co-Abhängigkeit zu lösen (und das muss nicht zwangsläufig bedeuten, sich vom dem*der Partner*in zu trennen):
– Erkenntnis: Bemerkst du Anzeichen für co-abhängiges Verhalten bei dir? Nimmst du dich selbst zurück, um den anderen nicht zu verlieren? Gibt es Anzeichen für eine seelische Erkrankung bei deinem*er Partner*in, die du bislang verleugnet hast? Es braucht Mut, sich das einzugestehen.
– Den anderen bzw. seine Krankheit akzeptieren: Gegen den Widerstand einer anderen Person anzukämpfen ist verschwendete Energie. Hilfreich ist, sich darauf zu konzentrieren, was man beeinflussen kann.
– Keine Verantwortung für den anderen übernehmen: Auch wenn es sich ungewohnt anfühlt – wenn wir den anderen zu schützen versuchen und die Verantwortung für den*die Partner*in übernehmen, unterstützen wir damit nur das Suchtverhalten bzw. das Abhängigkeitsverhältnis.
– Verantwortung für das eigene Leben übernehmen: Sich selbst um die eigenen Bedürfnisse und Interessen kümmern bzw. sie sich erfüllen und dadurch auch den anderen von idealisierten Erwartungen befreien.
– Negative Glaubenssätze kritisch hinterfragen – Wenn du dich abhängig in einer Beziehung fühlst, können auch alte Überzeugungen eine Rolle spielen, wie: „Ich bin nicht liebenswert“, „ich bin schuld, wenn die Beziehung schiefgeht“, „ich bin verantwortlich für die Gefühle des anderen“ oder oder oder. Vielleicht steht eine Klärung alter Beziehungsmuster an.
– Austausch/sich Hilfe holen: Der Austausch mit wohlmeinenden Freunden kann enorm hilfreich sein, um schwierige Beziehungsmuster und Abhängigkeiten zu durchschauen. Wem vertraust du? Selbsthilfegruppen oder Therapeuten*innen können ebenfalls unterstützen.
– Keine Schuldgefühle! Selbstkritisch sein bedeutet nicht, sich für alles verantwortlich zu fühlen. Sei ehrlich zu dir selbst, aber suche keinen Schuldigen.
– Emotionale Distanz: Zu einer Beziehung gehören sowohl Nähe als auch Distanz. Wenn der Freiraum, die Distanz verloren geht, leidet auch die Beziehung; man hat das Gefühl, den anderen zu sehr zu brauchen. Nimm innerlich einen kleinen Abstand ein und denke für dich selbst.
– Selbstwert aufbauen: Last but not least: Kümmere dich und pflege deinen Selbstwert. Du bist wichtig und liebenswert einfach, weil es dich gibt. Sei gut zu dir.
Sorgen loslassen – und gelassener werden
Unsere Tage sind vollgepackt, und das häufig nicht nur mit Aktivitäten und Aufgaben, die wir zu erfüllen versuchen, sondern darüber hinaus mit den Sorgen, die uns permanent beschäftigen. „Der Kuchen, den ich für eine Freundin backe, muss perfekt sein, sonst ist sie enttäuscht.“, „Wie lange halte ich dem Druck bei der Arbeit noch stand – aber wenn ich einen Urlaub beantrage, ist das Projekt gefährdet und mein Chef denkt, ich bin faul.“, „Ich muss mich unbedingt mal wieder bei meinen Eltern melden, die denken sonst ich habe sie vergessen.“, „Der Klimawandel wird immer schlimmer und wir können nichts dagegen tun.“
Solche oder ähnliche Sorgen können uns in einer Dauerschleife gefangen halten, die oft noch belastender ist, als unsere eigentlichen Aufgaben. Das Grübeln verbraucht so viel Energie, die uns für andere Dinge dann nicht mehr zur Verfügung steht. Häufig verlieren wir auch das Gefühl dafür, was wichtig ist und was nicht. Je mehr sich unser Blickfeld durch die Sorgen verengt, desto schwieriger erscheint es, aus dem Gedankenkarussell einfach auszusteigen. Und das obwohl wir wissen, dass viele der Sorgen irrational sind.
Die eigentliche Funktion unserer Sorgen und Ängste ist, uns wachsam werden zu lassen, und sie stellt uns Energie bereit, gegebenenfalls zu handeln und dadurch etwas Neues oder eine Veränderung zu schaffen, die wir anstreben. Zu viele Sorgen bewirken jedoch das genaue Gegenteil, sie blockieren und lähmen uns. Im Folgenden möchte ich daher Methoden und Übungen vorstellen, die hilfreich sind, um ein Übermaß der Sorgen zu stoppen und wieder handlungsfähig und gelassener zu werden.
1. Sich die Sorgen bewusst machen. Sich den Sorgen direkt zuzuwenden scheint das Gegenteil von dem zu sein, was wir uns wünschen, nämlich die Sorgen loszuwerden. Oft schwirren unsere Ängste jedoch nur halbfertig gedacht in unserem Kopf und wenn wir uns trauen, uns die sorgenvollen Gedanken einmal ernsthaft vor Augen zu führen und vollständig auszuformulieren, bemerken wir oft erst, dass sie irrational sind. Wir können uns fragen: Was könnte im schlimmsten Fall passieren? Wie wahrscheinlich ist das, was wir befürchten? Gibt es auch andere Möglichkeiten, wie es ausgeht? Das, was wir nicht sehen wollen, hat größere Macht über uns als das, was wir uns bewusst machen.
2. Es akzeptieren oder handeln. Wenn wir die Dinge (bzw. unsere Ängste) sehen können, wie sie sind, kann ein guter zweiter Schritt sein, sie zu akzeptieren, wie sie sind – die Umstände genauso wie unsere Ängste. Dabei hilft auch zu unterscheiden, welche Dinge ich beeinflussen kann und welche nicht in meiner Macht/Verantwortung stehen. Erkenne ich, dass ich etwas beeinflussen kann, kann ich mir überlegen, was meine nächsten Schritte sind und entscheide mich dafür, aktiv zu handeln. Falls ich nichts tun und verändern kann, sollte ich versuchen, es zu akzeptieren. Akzeptanz braucht häufig Zeit, man kann sie aber üben.
3. Stärke dein Selbstvertrauen! Der sorgenvolle Teil in uns flüstert uns oft zu: „das kannst du nicht.“, „dazu bist du zu klein/schwach/hilflos/unbedeutend.“, „das klappt ja nie.“ Erinnere dich daran, welche Probleme und Krisen du schon bewältigt hast, und sammle Beweise dafür, dass du stärker und mutiger bist, als dieser Teil es dir einflüstern will. Du könntest eine Liste schreiben mit schwierigen Situationen, die du schon gemeistert hast, und mit Erfolgen, auf die du stolz bist. Und du kannst in kleineren Situationen üben, die Herausforderung anzunehmen und durch sie hindurchzugehen. Erfolgserlebnisse, kleinere wie größere, stärken das Selbstvertrauen.
4. Zuversicht kultivieren. Eins meiner Lieblingszitate lautet: „Sei realistisch, erwarte ein Wunder.“ Wir haben alle ein wenig die Tendenz, schwierige Situationen schwarzzumalen und uns alle möglichen Horrorszenarien auszudenken. Es hat die Funktion, uns auf mögliche Gefahren vorzubereiten und uns zu schützen. Vorbereitung an sich ist nichts Negatives, wenn wir aber immer nur vom Schlechten ausgehen, das es zu vermeiden gilt, verhindern wir auch, dass wir positive Erfahrungen machen. Kannst du es dir erlauben, dir einen positiven Ausgang der Situation vorzustellen? Oder überwiegt dein Bedürfnis, das schlechte Ende und damit die Katastrophe, vorwegzunehmen?
5. Das Kopfkino stoppen. Um das Kopfkino zu beenden, kann es hilfreich sein, in deiner Fantasie zu deinem*er eigenen Held*in zu werden. Wie würden Supermann, Buddha oder Ronja Räubertochter mit der Situation umgehen? Was passiert in deiner Vorstellung, wenn du selbst in die Rolle deiner Lieblingsfigur trittst? Welche Energie entsteht in dir? Wärst du mutiger, größer, stärker oder hättest hilfreiche Superkräfte? Stell dir die Veränderung so anschaulich wie möglich vor, es muss nicht realistisch sein, bewirkt aber, dass uns neue Handlungsmöglichkeiten einfallen und die Herausforderung an Schrecken verliert.
6. Übung 1: Gepäck ablegen. Stell dir vor, du befindest dich auf einer Wanderung und trägst alle Sorgen, die dich belasten, in einem Rucksack mit. Der Weg führt bergauf und ist anstrengend, und du merkst, dass es Zeit wird für eine Pause. In der Ferne siehst du ein Licht, das dich anzieht und du gehst darauf zu und findest eine helle Lichtung, bei der es warm und friedlich ist. Vielleicht sind dort ein Tempel oder Bäume oder eine klare Quelle – du entscheidest, wie dieser Ort für dich aussieht. Hier machst du eine Weile Pause und lädst dein Gepäck ab. Wenn es sich für dich gut anfühlt, öffnest du den Rucksack, schaust hinein und entscheidest, was von den Gepäckstücken du wieder mitnehmen möchtest, und was du hierlassen möchtest. Gestärkt machst du dich auf den Rückweg und kannst fühlen, wie viel leichter dein Rucksack nun geworden ist…
7. Übung 2: Wie würde es sich anfühlen…? Eine andere Möglichkeit ist, den Körper eine neue Erfahrung machen zu lassen. Setz dich eine Weile gemütlich hin und schließe die Augen. Lenke deine Aufmerksamkeit nach innen und nimm erst einmal wahr, wie sich dein Körper gerade anfühlt. Wenn du soweit bist, richte nach innen, an deinen Körper die Frage: Wie würde es sich anfühlen, wenn ich alle meine Sorgen losgelassen habe? Es ist nicht notwendig zu wissen, wie das geschehen ist, sondern geh für den Moment davon aus, dass es bereits Realität ist. Wie würde es sich anfühlen? Denk auch nicht zu sehr darüber nach, wie es sich anfühlen würde, sondern nimmt wahr, wie es sich in diesem Moment körperlich für dich anfühlt.
Jetzt bist du dran. ;-) Wenn einer der Punkte dich angesprochen hat, probiere es aus und übe dich darin, die Sorgen loszulassen. Ich wünsche Dir viel Gelassenheit und Leichtigkeit!
No pressure! Wie wir besser mit Druck umgehen können
Everything that costs you your peace is too expensive. (Unbekannter Verfasser)
Im Posteingang warten Emails, die beantwortet werden müssen, die Familie möchte, dass du dich mehr kümmerst, und dann rückt auch noch der Abgabetermin des Textes, den du fertigstellen wolltest, immer näher… So oder so ähnlich können die Umstände sein, in denen der Druck, die Dinge erledigen zu müssen, allmählich steigt. Wenn es zu viel wird, empfinden wir innere Anspannung, einen Druck im Magen oder eine imaginäre Last auf den Schultern. Dabei können äußere Faktoren ebenso eine Rolle spielen wie innere, wie z.B. Erwartungen an dich selbst.
Zu viel Druck kann belasten, uns blockieren und auf Dauer sogar gesundheitsschädlich sein. Was aber hilft, uns vom Druck zu befreien und gelassen an die Dinge heranzugehen? Im ersten Schritt geht es sicher darum herauszufinden, was genau den Druck auslöst, also die Frage: Was steht zwischen mir und meiner Gelassenheit/Freude/Entspannung? Gibt es die Möglichkeit, die Aufgaben im Außen anders zu planen, um uns zu entlasten, oder entsteht der Druck, weil wir zu viel Verantwortung übernehmen oder ein zu hohes Ideal erfüllen wollen (um andere nicht zu enttäuschen)?
„Ich sollte schneller und produktiver sein, sonst denken die Kolleg*innen schlecht von mir“, „lieber mache ich es selbst, dann wird es besser“, „ich sollte netter zu Tante Frieda sein, sie hat es doch so schwer“… können z.B. unbewusste Erwartungen an uns selbst sein. Wenn wir diese Überzeugungen identifizieren, sehen wir unseren eigenen Anteil klarer und erhalten dadurch wieder mehr Kontrolle zurück. Wir können beginnen, unsere Einstellung zu hinterfragen: Stimmt das? Wäre das schlimm? Welche Konsequenzen hat das für mich? Will ich das wirklich?
Wenn wir erkennen, dass wir zu viel Verantwortung für andere mit übernehmen, ist es vielleicht an der Zeit, uns mehr freizuschwimmen, die Verantwortung wieder mehr zu teilen. Wie wäre es, wenn wir dem Partner zutrauen würden, dass er oder sie es mindestens genauso gut machen wird, wie wir? Können wir uns darauf einlassen, auch wenn wir nicht wissen, wie der andere sich verhält? Können wir dem anderen vertrauen, auch wenn das Ergebnis vielleicht anders ist, als wir es erwarten?
Welche praktischen Möglichkeiten gibt es darüber hinaus, um uns vom Druck zu entlasten?
1. Freiraum schaffen
Wir können uns bewusst Zeit nehmen und in uns hineinspüren, wo wir den Druck gerade verspüren. Bemerken wir z.B. einen Knoten im Bauch, ein Druckgefühl im Magen oder ist es ein Gedanke im Kopf? Wenn möglich nehme es für einen Moment wohlwollend wahr, ohne etwas zu verändern. „Aha, da ist also…“ Dann entscheide dich in deiner Vorstellung bewusst, dieses Gefühl oder den Gedanken in einen guten Abstand zu dir zu bringen. Gib ihm einen guten Ort, an dem sich aufhalten/aufbewahrt sein kann, wie beispielsweise ein Platz im Regal, ein Kissen oder eine Schachtel. Wenn du es in deiner Vorstellung dort hingestellt hast, spüre nach, wie es sich jetzt innerlich anfühlt.
2. Achtsamkeit
Für Fortgeschrittene: Wie beim Freiraumschaffen geht es darum, die Aufmerksamkeit nach innen zu lenken und das Druckgefühl im Körper zu lokalisieren. Ist es möglich, eine Weile einfach damit zu sein, nichts zu verändern, sondern einfach wahrzunehmen, was da ist? Was geschieht innerlich, wenn du mit deiner Aufmerksamkeit absichtslos in diesen Bereich bleibst? Verändert sich der Atem? Die Körperhaltung? Achte auf alle kleinen, feinen Veränderungen, die von selbst entstehen. Es ist möglich, dass sich dadurch von selbst etwas entspannt.
3. Innere Haltung
Wenn wir überzeugt sind, nicht gut genug zu sein, alles perfekt machen zu müssen oder die Erwartungen anderer erfüllen zu müssen, lädt uns das zusätzlichen Druck auf. Welche innere Einstellung hindert uns am meisten? Wie würde es aussehen/sich anfühlen, wenn wir diese Einstellung nicht hätten? Eine Möglichkeit ist, sich dies in der Vorstellung so anschaulich wie möglich auszumalen/es körperlich zu fühlen. Eine weitere Möglichkeit ist, eine neue Haltung zu finden, die uns besser unterstützt, den Druck herausnimmt. „Ich möchte diese Aufgabe heute noch erledigen, aber wenn es nicht klappt, ist morgen auch noch ein Tag.“, „Ich vertraue auf mich und meine Fähigkeiten“, „Ich nehme es leicht und spielerisch.“
4. Was ist wirklich wichtig?
Wenn wir vor einer Herausforderung stehen und uns selbst Druck machen, verlieren wir oft den Blick für das Wesentliche. Ist es wirklich wichtig, jemand anderen zu beeindrucken – oder ist es wichtig, dass ich mit mir zufrieden sein kann? Ist unser Wohlbefinden wichtiger – oder ein perfektes Äußeres? Wie viel liegt mir daran, dass meine Wohnung perfekt aufgeräumt ist – oder ob ich einen schönen Abend mit Freunden verbringe, egal wie die Wohnung aussieht… Die Frage, was uns wirklich wichtig ist, kann uns dabei helfen, uns nicht nach scheinbaren Erwartungen auszurichten, sondern uns klar zu werden, was für uns persönlich zählt und diesen Dingen im Zweifel mehr Raum zu geben, während die unwichtigen Dinge wieder den (geringeren) Stellenwert bekommen, den sie verdienen.
5. Geduld, Geduld, Geduld – kleine Schritte
Auslöser für den Druck ist ebenfalls oft, dass wir uns zu viel vornehmen und den ganzen Berg auf einmal erklimmen möchten. Dadurch entsteht ein Gefühl Überforderung, das eher lähmt, als unterstützt. Aus dieser Falle kommen wir heraus, wenn wir uns statt auf das große Ziel, das wir erreichen möchten, wieder auf den nächsten kleinen Schritt konzentrieren. Statt uns den Druck zu machen, für einen Marathon zu trainieren, können wir auch erst mal damit beginnen, jeden Tag 10-15 Minuten entspannt zu laufen (das Gleiche gilt übrigens für Meditation). Statt gleich ein ganzes Buch verfassen zu wollen, ist es auch möglich, erstmal Ideen zu sammeln und dann mit einem Absatz anzufangen… Es fällt deutlich leichter und macht mehr Spaß, so dass sich auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass wir dabeibleiben und es fertigstellen.
Ich wünsche dir viel Inspiration und eine frohe und gelassene Vorweihnachtszeit! Vielleicht war ja ein Gedanke dabei, den du für dich mitnehmen konntest…
P.S. Mit diesem Blogbeitrag habe ich mich entschieden, vom „Sie“ zum „du“ zu wechseln. Die persönliche Anrede erschien mir passend und leichter.