Im Allgemeinen gehen wir davon aus, dass Erfolge und Misserfolge eines Menschen maßgeblich von dessen Begabungen abhängen. Jemand hat ein besonderes Talent, mit Zahlen umzugehen? Derjenige wird bestimmt mal ein ausgezeichneter Mathematiker, Physiker oder Ingenieur. Jemand anders war dagegen als Kind eher unsportlich – aus diesem Menschen wird bestimmt kein erfolgreicher Sportler! So oder so ähnlich wird unsere spontane Beurteilung wahrscheinlich ausfallen.
Die US-amerikanische Psychologin Carol Dweck hat dagegen in unzähligen Studien und Experimenten mit Spitzensportlern, Geigenvirtuosen, Elitestudenten und Führungskräften herausgefunden, dass vielmehr unser Selbstbild und unsere Bereitschaft dazuzulernen und uns weiterzuentwickeln entscheidend dafür sind, wie erfolgreich wir sind. Am Beginn stand ein Experiment mit Schulkindern: Dweck ließ Kinder einer Grundschulklasse einzeln mehrere Denksportaufgaben lösen, deren Schwierigkeitsgrad etwas zu hoch für sie war. Sie wollte damit herausfinden, wie die Schüler mit Herausforderungen umgingen.
Zu ihrer Überraschung reagierten die Kinder jedoch nicht etwa negativ und waren frustriert, dass die Aufgaben zu schwer für sie waren, sondern sagten so etwas wie: „Ich liebe kniffelige Rätsel!“ oder „Wissen Sie, genau das hatte ich gehofft: Dass ich hier etwas lerne.“ Sie konnten mit ihrem Misserfolg nicht nur relativ gut umgehen, sondern sie scheiterten gern an ihrer Aufgabe! Dieses Ergebnis interessierte Dweck so sehr, dass sie mehr über diese Einstellung herausfinden wollte. Aus diesem Grund führte sie weitere Studien mit unterschiedlichen Personengruppen durch.
Statisches oder dynamisches Selbstbild
Dies führte zu ihrer Entdeckung, dass es zwei verschiedene (Grund-)Einstellungen gibt, mit denen wir Herausforderungen begegnen: Entweder sind wir überzeugt, dass uns unsere Fähigkeiten und Talente von Geburt an mitgegeben wurden und dass wir selbst nichts tun können, wenn uns eine Sache nicht liegt und wir kein Talent dafür besitzen. Dann besitzen wir nach Carol Dweck ein statisches Selbstbild. Oder aber wir sind überzeugt, dass wir unsere Eigenschaften weiterentwickeln können und dass wir, wenn wir nur ordentlich üben und uns anstrengen, jedes realistische Ziel erreichen können. – Ähnlich wie die Kinder, die in ihrem Scheitern kein Problem sehen, sondern darauf vertrauen, dass sie die Herausforderung mit etwas mehr Übung meistern werden und sogar Spaß daran haben.
Das dynamische Selbstbild entspricht der Brille eines gesunden Selbstvertrauens: Wenn ich etwas noch nicht kann, es aber gern können/erreichen möchte, werde ich weiter daran glauben, dass ich es schaffen kann. Ich werde es trotzdem weiter versuchen und nehme Misserfolge und Fehlschläge auf dem Teil Weg dorthin in Kauf – wenn dahinter die Einstellung steht, dass ich mich durch eigene Anstrengung weiterentwickeln kann. Wenn ich stattdessen (unbewusst) die Einstellung habe, dass meine Leistungen allein auf Talent beruhen, ist jede weitere Anstrengung zwecklos und ich werde jeden Fehler als weiteren Rückschlag interpretieren.
Scheitern ist nicht das Gegenteil von Erfolg – es ist ein Bestandteil davon. (Arianna Huffington)
In ähnlicher Weise wie beim Experiment mit den Schulkindern fand Dweck in den Studien mit weiteren Personengruppen heraus, dass diejenigen, die Spitzenpositionen in ihren jeweiligen Berufsbereichen erreicht und es zu besonderer Virtuosität gebracht hatten, zu Beginn ihrer Karriere oder in ihrer Schulzeit keineswegs diejenigen gewesen waren, die sich durch das höchste Talent ausgezeichnet hatten. Talent spielt zwar eine Rolle, aber auf den späteren Erfolg haben das Selbstbild bzw. die Einstellung zu Herausforderungen sowie die Ausdauer und Anzahl der Übungsstunden einen viel größeren Einfluss.
Was lassen sich diese Erkenntnisse auf unseren Umgang mit Herausforderungen übertragen?
- Herausfinden, welches Selbstbild wir unbewusst haben: Beobachten Sie sich selbst bzw. gehen Sie in ihrer Vorstellung Situationen durch, in denen Sie in der letzten Zeit herausgefordert waren: Wie reagieren Sie? Denken Sie eher dynamisch (prozessorientiert) oder statisch? Haben Sie das Scheitern als Misserfolg gesehen oder als Möglichkeit, etwas Neues zu lernen und sich weiterzuentwickeln?
- Die Perspektive des „noch nicht“: Schauen Sie die gleichen Situationen (oder solche, die in den nächsten Tagen auf Sie zukommen) mal aus der Perspektive des „noch nicht“ an. Statt: „Ich bin daran gescheitert, eine berufliche Aufgabe zu meistern, eine Stunde lang durchgehend im Park zu joggen, die Beziehung zu meinem Partner zu verbessern etc.“ lieber: „Ich kann es noch nicht/weiß noch nicht, was ich dafür tun kann.“ Damit erkennen Sie die Möglichkeit an, in diesem Prozess weiterzukommen.
- Neu wählen: Wenn Sie erkannt haben, zu welchen Selbstbild Sie tendieren, haben Sie wieder die Wahl, ob Sie dabei bleiben oder eine neue Haltung einnehmen möchten. Sie können entscheiden, ob Sie daran festhalten möchten, dass Ihre Talente angeboren sind, oder ob Sie daran glauben, dass Sie sich weiterentwickeln können. Vor allem können Sie entscheiden, wie Sie mit Herausforderungen umgehen: ob Sie sie als negativ beurteilen und lieber vermeiden oder ob Sie sie als Chance sehen und kleine Schritte auf Ihrem Weg machen.
Übrigens: Nicht immer fällt es leicht, alte Muster abzulegen und sich eine neue Haltung anzueignen. Dann helfen Gespräche mit Freunden oder Sie suchen sich Unterstützung durch einen Coach.
- Neues ausprobieren: Menschen mit einem dynamischen Selbstbild probieren gern neue Dinge aus, weil Sie gern dazulernen und weniger Angst davor haben, Fehler zu machen. Vielleicht versuchen Sie mal, eine neue Fähigkeit zu erlernen oder eine Aktivität zu unternehmen, die Sie bisher gescheut haben – oder Sie probieren einfach für eine Woche eine neue Haltung aus, wie: „Ich kann das schaffen!“ oder „Es macht nichts, wenn ich einen Fehler mache; daran merke ich, dass ich auf dem Weg bin und etwas lerne.“
Ich wünsche Ihnen viel Kreativität und einen gelassenen Umgang mit Herausforderungen!
Literatur:
- Carol Dweck, Selbstbild. Wie unser Denken Erfolge oder Niederlagen bewirkt, München 2014.