Wenn ein geliebter Mensch seelisch krank ist, beeinflusst das oft auch das Leben seiner Angehörigen. Die Krankheit belastet die Beziehung, die Angehörigen oder Partner*innen richten oft unbewusst ihre ganze Aufmerksamkeit auf die andere Person, sie machen sich abhängig von dessen Wohlbefinden oder Krankheitszustand und ordnen sich unter. Manchmal bis zu dem Punkt, an dem sie eigene Symptome entwickeln.
Der Begriff „Co-Abhängigkeit“ kann sich auf den Bereich der Suchterkrankungen beziehen: Alkoholismus oder andere Suchterkrankungen können dazu führen, dass die Lebensqualität der Partner*innen stark beeinträchtigt wird und sie selbst Anzeichen von Abhängigkeit entwickeln – indem sie die Suchterkrankung in den Mittelpunkt stellen und gleichsam zum „Mitgefangenem“ der Sucht werden.
Der Begriff lässt sich aber ebenso auf weitere Bereiche beziehen, wie z.B. Co-Depressionen oder Co-Abhängigkeit in Beziehungen. Vielleicht noch wichtig zu sagen: Co-Abhängigkeit ist keine Diagnose und soll nicht zur Schuldzuweisung dienen. Vielmehr kann der Begriff auf die Herausforderungen und Belastungen im Zusammenleben mit den Betroffenen aufmerksam machen.
Woran erkennt man nun Co-Abhängigkeit in diesen Bereichen und welche Schritte sind möglich, um sich daraus zu lösen?
Co-Abhängigkeit bei Sucht
Eine Suchterkrankung schränkt den Alltag der Betroffenen meist stark ein – und das betrifft oft auch den Alltag der Angehörigen, die in die Erkrankungen des nahestehenden Menschen quasi mitverstrickt sind. Stimmungsschwankungen und Verhaltensänderungen aufgrund der Sucht werden miterlebt und allzu oft wird man dabei mit seiner eigenen Hilflosigkeit konfrontiert. Um dem*der Partner*in zu helfen oder auch um das Zusammenleben weiterhin aufrechtzuerhalten, wählen Angehörige oft Strategien im Umgang mit der Erkrankung, die ihnen selbst schaden.
Sie versuchen, den Betroffenen vor den Folgen seiner Sucht zu beschützen, kümmern sich verstärkt um ihn oder sie, versuchen vielleicht, die Erkrankung vor anderen zu vertuschen und räumen hinter dem Suchtkranken auf. Auch der Versuch, Einfluss zu nehmen und das Suchtverhalten des anderen zu kontrollieren, verstärken die Co-Abhängigkeit, weil unterschätzt wird, dass eine Erkrankung nicht durch äußere Willenskraft überwunden werden kann. Bei ihren Bemühungen merken Co-Abhängige oft nicht, wie sehr sie selbst ihre Grenzen überschreiten und eigene Bedürfnisse und Gefühle vernachlässigen.
Co-Depressionen
Auch das Zusammenleben mit einem*er depressiven Partner*in kann eine Herausforderung sein. Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit oder Unverständnis für die Gefühle des anderen können die Beziehung belasten und den Eindruck hervorrufen, dass man vom anderen ausgeschlossen wird. Die eigene Stimmung wird vom anderen beeinflusst und gemeinsame Unternehmungen oder auch die Verantwortung für den gemeinsamen Alltag und die Familie können zeitweise vielleicht nicht gemeinsam getragen werden. Es besteht die Gefahr, dass man sich auseinanderlebt oder Situationen von Überforderung entstehen. Auch sinkender Lebensmut bei einem depressiven Menschen kann eine verstärkte Belastungssituation bedeuten.
Trägt jemand die Erkrankung eines*er Partner*in mit und erlebt, wie sich alles nur noch um die Krankheit dreht, ergeben dadurch immer mehr Belastungssituationen, kann es die Entstehung von Depressionen bei Angehörigen und Partner*innen begünstigen. Merkmale für eine Co-Depression können dabei sein: Trauer, Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit; pessimistischer Blick in die Zukunft; zunehmende Isolierung von Freunden und Verwandten; Vernachlässigung von Hobbies und Aktivitäten; Gedanken kreisen fast ausschließlich um den*die Partner*in und seinen*ihren Zustand; körperliche Symptome wie Magen- oder Kopfschmerzen.
Co-Abhängigkeit in Beziehungen
Co-Abhängigkeit in Beziehungen ohne psychische Erkrankung ist ein Synonym für unausgeglichene Beziehungen, in denen sich ein*e Partner*in unverhältnismäßig an den*die andere bindet. Unbewusst befassen sich co-abhängige Menschen fast ausschließlich mit den Gedanken und Handlungen der anderen Person, der sie eine größere Bedeutung geben, als sich selbst. Mit der gesteigerten Aufmerksamkeit für den anderen geht der Kontakt zu sich selbst, zu den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen verloren. Eigene Grenzen werden überschritten oder es wird zugelassen, dass sie überschritten werden. Wünsche und Aktivitäten werden zugunsten der Wünsche des*der Partners*in zurückgeschraubt. Oft steht die Angst dahinter, den anderen zu verlieren, wenn man sich anders verhält bzw. sich zeigt, wie man ist (geringes Selbstwertgefühl).
Häufiges Anzeichen ist eine emotionale Abhängigkeit, das Gefühl, ohne die Liebe und Bestätigung der anderen Person nicht auskommen zu können. Einerseits gibt die Person dem*der Partnerin die Macht darüber zu bestimmen, wie frei, liebenswert und toll sie ist, andererseits übernimmt sie meist die ganze Verantwortung für die Beziehung und die Gefühle der anderen Person und fühlt sich schuldig, wenn etwas nicht gut läuft. Ein gewisses Maß an Abhängigkeit gehört in Beziehungen dazu, werden aber regelmäßig eigene Vorlieben und Gefühle unterdrückt und zurückgehalten, sollte man sich zumindest nach den Gründen fragen.
Wege aus der Co-Abhängigkeit
Je nachdem wie stark das co-abhängige Verhalten ausgeprägt ist (wie stark die Einschränkung ist), kann es leichter oder schwieriger sein, sich daraus zu befreien. Unter Umständen ist es sinnvoll, sich von einem Coach oder einem*er Therapeut*in unterstützen zu lassen, z.B. wenn die Co-Abhängigkeit schon seit langem besteht und du darunter leidest. Dennoch möchte ich ein paar Gedanken teilen, die hilfreich sind, um sich aus der Co-Abhängigkeit zu lösen (und das muss nicht zwangsläufig bedeuten, sich vom dem*der Partner*in zu trennen):
– Erkenntnis: Bemerkst du Anzeichen für co-abhängiges Verhalten bei dir? Nimmst du dich selbst zurück, um den anderen nicht zu verlieren? Gibt es Anzeichen für eine seelische Erkrankung bei deinem*er Partner*in, die du bislang verleugnet hast? Es braucht Mut, sich das einzugestehen.
– Den anderen bzw. seine Krankheit akzeptieren: Gegen den Widerstand einer anderen Person anzukämpfen ist verschwendete Energie. Hilfreich ist, sich darauf zu konzentrieren, was man beeinflussen kann.
– Keine Verantwortung für den anderen übernehmen: Auch wenn es sich ungewohnt anfühlt – wenn wir den anderen zu schützen versuchen und die Verantwortung für den*die Partner*in übernehmen, unterstützen wir damit nur das Suchtverhalten bzw. das Abhängigkeitsverhältnis.
– Verantwortung für das eigene Leben übernehmen: Sich selbst um die eigenen Bedürfnisse und Interessen kümmern bzw. sie sich erfüllen und dadurch auch den anderen von idealisierten Erwartungen befreien.
– Negative Glaubenssätze kritisch hinterfragen – Wenn du dich abhängig in einer Beziehung fühlst, können auch alte Überzeugungen eine Rolle spielen, wie: „Ich bin nicht liebenswert“, „ich bin schuld, wenn die Beziehung schiefgeht“, „ich bin verantwortlich für die Gefühle des anderen“ oder oder oder. Vielleicht steht eine Klärung alter Beziehungsmuster an.
– Austausch/sich Hilfe holen: Der Austausch mit wohlmeinenden Freunden kann enorm hilfreich sein, um schwierige Beziehungsmuster und Abhängigkeiten zu durchschauen. Wem vertraust du? Selbsthilfegruppen oder Therapeuten*innen können ebenfalls unterstützen.
– Keine Schuldgefühle! Selbstkritisch sein bedeutet nicht, sich für alles verantwortlich zu fühlen. Sei ehrlich zu dir selbst, aber suche keinen Schuldigen.
– Emotionale Distanz: Zu einer Beziehung gehören sowohl Nähe als auch Distanz. Wenn der Freiraum, die Distanz verloren geht, leidet auch die Beziehung; man hat das Gefühl, den anderen zu sehr zu brauchen. Nimm innerlich einen kleinen Abstand ein und denke für dich selbst.
– Selbstwert aufbauen: Last but not least: Kümmere dich und pflege deinen Selbstwert. Du bist wichtig und liebenswert einfach, weil es dich gibt. Sei gut zu dir.