„Schon wieder etwas falsch gemacht! Das lernst du nie. Streng dich mehr an! Andere können das viel besser. Sei doch nicht so ein Angsthase! Du musst mehr Geld verdienen. Sei doch nicht so ein Angeber! Du musst immer freundlich sein. Sei doch…!“ So oder so ähnlich hört sich unser innerer Kritiker in manchen Momenten an; und die Liste kann endlos fortgesetzt werden. Oft ist uns gar nicht bewusst, was wir uns selbst wiederholt erzählen, bis uns irgendwann auffällt, wie streng wir mit uns selbst ins Gericht gehen.
Der „innerer Kritiker“ ist diejenige Instanz in uns, mit der wir ständig uns selbst (und andere) bewerten. Dem inneren Kritiker kann man es nie wirklich recht machen, immer gibt es etwas zu nörgeln, machen wir etwas nicht gut genug oder suchen wir den Fehler bei uns. Es ist möglich, dass uns die Stimme des inneren Kritikers an jemanden erinnert, sei es an einen Elternteil, an eine ungeliebte Tante oder an eine andere autoritäre Person aus unserem Leben. Der innere Kritiker/die innere Kritikerin kann für verschiedene innere Personen stehen und kann sich in unterschiedlichen – negativen und destruktiven – Botschaften zeigen.
Die häufigste Reaktion, wenn wir den inneren Kritiker bemerken, ist, dass wir genervt sind und ihn möglichst schnell loswerden wollen. Vielleicht ärgern wir uns auch über uns selbst, dass wir es nicht besser wissen und kein stärkeres Selbstwertgefühl besitzen. Problematisch daran ist jedoch, dass der innere Kritiker gerade dann immer stärker wird, je mehr wir ihn ablehnen oder gegen ihn kämpfen. Wenn wir versuchen, die innere Stimme zum Schweigen zu bringen, meldet sie sich nur umso lauter – und wir verwenden viel Energie und Aufmerksamkeit darauf, damit gerade das nicht eintritt: ein Teufelskreis.
Was aber ist ein guter Weg, mit dem inneren Kritiker umzugehen?
Den inneren Kritiker identifizieren
Der erste Schritt bleibt es, den inneren Kritiker zu identifizieren. Das gelingt am besten, wenn man beobachtet, in welchen Situationen man besonders kritisch und wertend mit sich umgeht. Welche Bewertungen über sich oder über die Situation gibt man unbewusst ab? Hilfreich sind dazu die folgenden Fragen:
- Wie spreche ich gerade mit mir selbst (freundlich/streng, liebevoll/kritisch)?
- Welche Sätze sage ich mir wiederholt selbst in herausfordernden Situationen?
- In welchen Situationen sage ich innerlich zu mir: „Ich muss…“, Ich sollte…“?
- Wie lauten die Sätze, die mit „Ich muss…“, „Ich sollte…“ beginnen?
- Gibt es weitere negative Sätze und Bewertungen, die ich mir wiederholt sage?
- Habe ich diese Sätze früher schon mal von jemand anderem gehört?
Obwohl der innere Kritiker höchst unangenehm sein kann und für unser Selbstwertgefühl sicherlich nicht förderlich ist, ist er dennoch für uns da und hat eine Funktion. Meist enthält geht er zurück auf eine Erfahrung, die wir gemacht haben und in der seine Botschaft/Haltung uns vor etwas schützen oder etwas Gutes für uns bewirken sollte. Etwa: „Wenn ich mich mehr anstrenge, leiste ich mehr – und wenn ich mehr leiste, werde ich gemocht.“ oder: „Wenn ich einen Fehler mache, bedeutet das eine Katastrophe – es ist besser, gut darauf zu achten, nichts falsch zu machen.“ So oder so ähnlich könnten die unbewussten Absichten unseres Kritikers lauten.
Den inneren Kritiker neu bewerten
Der innere Kritiker ist nicht unser Feind! Wie kann man ihn aber stattdessen wahrnehmen und bewerten? Man könnte sagen, der Kritiker ist eine Instanz, die Gutes für uns will, die Art und Weise, wie sie es tut, ist jedoch leider negativ und wenig unterstützend für uns. Der Kritiker übt Druck auf uns aus, um zum Ergebnis zu kommen und kann uns dabei blockieren und im Weg stehen. Statt diesem „Tyrannen“ jedoch mit eben soviel Druck zu begegnen, hilft es weitaus mehr anzuerkennen, dass er ursprünglich etwas für uns und nicht gegen uns beabsichtigte. Darin liegen auch die zwei Seiten des inneren Kritikers, der uns einerseits durch seine Negativität schadet, andererseits jedoch immer auch einen positiven Aspekt für uns enthält.
Wenn wir den Kritiker also neu bewerten wollen, helfen uns die folgenden Fragen weiter:
- Gibt es eine positive Absicht in den Botschaften des inneren Kritikers?
- Wozu könnte der innere Kritiker auch gut sein?
- Gab es schon einmal Situationen, in denen uns der innere Kritiker geholfen hat?
Da der innere Kritiker gleichzeitig oft innere Wünsche und Seiten von uns unterdrückt und blockiert, liegt darin auch viel gebundene Kraft. Wenn es uns gelingt, dem Kritiker zuzuhören und einen freundlichen Umgang mit ihm zu finden, wird diese Kraft freigesetzt und steht uns wieder zur Verfügung. Bei der Beschäftigung mit dem inneren Kritiker kann das ein großer Gewinn sein. Wir können erkennen, was wir uns wünschen und wo unsere Bedürfnisse liegen – und können wieder selbst entscheiden, was wir davon verwirklichen und welche Richtung wir einschlagen.
Wenn der innere Kritiker Ihnen das Leben schwer macht, kann es leichter fallen, mit einem Coach oder Therapeuten das Thema zu bearbeiten; vor allem, wenn es um eine Veränderung und Neubewertung geht. Ich wünsche Ihnen eine gute und konstruktive Annäherung an Ihren inneren Kritiker!